Fallstudie: Eine sehr schwierige Mitarbeiterin


Führungscoaching: Beispiel einer Fallstudie

Kurze Fallbeschreibung:


Langjährige Mitarbeiterin, interne Kunden beschweren sich über Ihre Art zu kommunizieren (unhöflich, herrisch, herb). Leistungen nicht immer o.k., schwieriges privates Umfeld (Scheidung, Sorgerechtsstreitigkeiten). Der eine Teil der Kollegen hat Verständnis, der andere Teil fordert Konsequenzen. Man möchte nicht länger für sie mit arbeiten müssen. Auf erste Feedbackversuche hat sie verständnislos bis aggressiv/renitent reagiert. Sie persönlich können sie nicht mehr sehen. Sie gehen Ihr aus dem Weg. Sie haben den Eindruck, dass ihre Krankmeldungen mit den Feedbacks zusammen hängen. Gleichzeitig hat sie eine Höhergruppierung auf ihrer anspruchsvollen Tätigkeit gefordert. Kollegen und auch Ihr Vorgesetzter beobachten aufmerksam, wie Sie damit umgehen.
 

Der Fall ist nicht so eindeutig: Die Mitarbeiterin ist nicht völlig schlecht, ist nicht völlig unbeliebt, ist nicht völlig illoyal, ist nicht völlig demotiviert (sie bemüht sich sichtlich). Sie ist nicht völlig uneinsichtig (für vierzehn Tage stellen sich Verbesserungen ein, die dann wieder versanden).

Diese Fallstudie baut sich in vier Phasen mit jeweils drei Schritten auf: 

1. Die Analyse

2. Der Grundvertrag

3. Der Plan

4. Die Begleitung

 

 

 


 

1.1.  Verantwortung der Rolle

 

1.2.   Grundhypothesen

 

1.3.  Einstellung: Weichheit oder Härte


2.1. Rahmen für das         Basisgespräch

 

2.2. Zehn-Punkte-Skala

 

2.3. Gretchenfrage


3.1. Festlegung der Eckpunkte

 

3.2. Zerlegung in die Einzelbestandteile

 

3.3. Visualisierung


4.1. Die Begleiter

 

4.2. Gesprächstermine

 

4.3. Abschluss und Ende


1. Die Analyse

Dieser Fall ist voll von Dilemmata, potenziellen Schuldgefühlen und möglichen Verletzungen, voll von Double-Binds: Es scheint es ist falsch, egal was Sie tun. Wie handeln? Aussitzen? Versuchen, ihr Gutes zu tun? Auf die nächste Reorganisation warten? Bei Kollegen nach einer offenen Stelle fragen, Wegloben? Wo finden Sie als Führungskraft den archimedischen Punkt, der Ihnen einen festen Standpunkt gibt?

Erster Schritt: Verantwortung Ihrer RolleSie nehmen Ihre Verantwortung nicht wahr, wenn Sie nichts tun.

A. Sie liefern nicht die Leistung, die Ihr Unternehmen erwartet (Leistungsverantwortung).
B. Sie nehmen unter Umständen nicht die Fürsorgepflicht gegenüber der Mitarbeiterin wahr.

Zweiter Schritt: Grundhypothese

Können (Fähigkeit, Zustand) und Sollen (Stelle/Aufgabe) passen zur Zeit nicht zusammen. Das heißt, beides muss wieder zusammen gebracht werden

Dritter Schritt: Weichheit oder Härte?

Weder Weichheit noch Härte sind hier angemessene Wege. Und Sie haben nicht die Wahl. Sie müssen der Mitarbeiterin eine wirklich faire Chance geben, das Können an die Aufgabe wieder anzupassen. Sie würden andererseits Ihre Verantwortung dem Unternehmen und den Kollegium nicht gerecht, wenn Sie nicht mittelfristig alles in Ihrer Macht stehende versuchen würden, die Aufgabe an die Fähigkeiten anzupassen, falls die Mitarbeiterin ihr Verhalten nicht verändert.

 

2. Die Basisvereinbarung –  das Fundament

Die Situation braucht eine neue Ordnung und eine Chance für die Mitarbeiterin. Eine neue Klarheit braucht ein neues Fundament. Dieses Fundament sind Basisvereinbarungen:

Erster Schritt: Rahmen für das Basisgespräch

Schaffen Sie mit der Einladung einen Gesprächsrahmen, der der Bedeutung gerecht wird. „Ich möchte Ihre Arbeit auf eine neue Basis stellen“, „Ich möchte neue Weichen stellen“, „Ich würde gerne die Ereignisse und Wahrnehmungen der letzten Zeit ordnen“ sind mögliche Formulierungen; NICHT: „Wir müssen mal…“. Schaffen Sie einen ruhigen Rahmen, zeitlich wie räumlich. Stellen Sie darauf ein, dass die  Rahmensetzung (Termin, Anlass, Ziel, Absicht) je nach Mitarbeiter-Typus gleich in das Gespräch übergehen kann, wenn der Mitarbeiter nicht warten möchte.

Zweiter Schritt: Gewitter, klare Luft und die Skalafrage

Für viele ist der schwerste Schritt, dem Mitarbeiter zu sagen, dass es so nicht weiter geht, dass die Situation ernst ist und ungenehme Konsequenzen folgen, falls keine Veränderungen eintreten. Je mehr wir unter Stress geraten,  umso mehr tendieren wir dazu, die Intuition, die emotionale Intelligenz einzusetzen. Diese Intelligenz ist meist schnell und eindeutig  (Null oder Eins, schlecht oder gut) und führt schnell zu eindeutigen Interpretationen: „Ich habe jetzt keine Lust mehr, ich will jetzt endlich Ruhe haben“, u.s.w.. Dieses Szenario mit den möglichen emotionalen Eskalationen lässt viele Führungskräfte davor zurückschrecken, die notwendigen Schritte zu tun.

Hier kann die kognitive Intelligenz helfen, die Situation zu relativieren und zu versachlichen, ohne zu verharmlosen („So schlimm ist dann auch wieder nicht“ mit der möglichen „Es ist doch alles in Ordnung“-Reaktion des Mitarbeiters). Stellen Sie die Leistungen auf einer (z.B.) Zehn-Punkte-Skala dar: „ Wo würden Sie sich auf einer 10-Punkte-Skala einordnen?“ ist eine mögliche Frage. Es kommt nicht darauf an, dass Sie sich einig über den derzeitigen Punktestand sind, der ist immer subjektiv, sondern dass Sie das 0 oder 1 vermeiden und positive wie negative Aspekte auf einem Blatt visualisieren können. Wie viele Punkte fehlen zu den 10 Punkten? Wie viele und welche Punkte sind unbedingt notwendig?

Beispiel einer 10-Punkte-Skala:

 

Auf der Skala lässt sich darstellen, was erfüllt sein muss, um den Status zu halten (zum Beispiel ca. 8 Punkte) oder um für eine Beförderung vorgeschlagen zu werden. Es geht nicht um Genauigkeit, die Zahlen sind eh „Bauch- oder Daumenzahlen“. Es geht um die Visualisierung und Relativierung.

Dritter Schritt: Die Gretchenfrage – Ja oder Nein?

Die oberen vier Punkte (rot – "Defizite") aus dem obigen Beispiel können so nicht bleiben. Jetzt können Sie zwei Dinge tun: Entweder Sie bemühen sich um eine Anpassung der Aufgaben mit den evtl. notwendigen Umgruppierungen (Was nicht immer möglich ist! Vorherige Konsultation der Personalabteilung!) oder der Mitarbeiter startet einen Veränderungsprozess, um von sechs auf z.B. acht Punkte zu kommen. Die Praxis kennt beide Antworten: Nicht wenige nehmen die Möglichkeit wahr, eine andere Aufgabe zu übernehmen, in den meisten Fällen allerdings in anderen Abteilungen. Die Mehrheit jedoch entscheidet sich für die Veränderung des Verhaltens und der Fähigkeiten. In manchen Fällen steckt eine Demotivation hinter den Symptomen.

Abschlussfrage: Wollen Sie das wirklich? Werden Sie alles tun, um dieses Ziel zu erreichen? Wenn ja, dann los! Packen wir es an. Dieses „Ja“ ist wichtig. Auf das werden Sie unter Umständen öfter zurückkommen müssen.

Geben Sie dem Mitarbeiter wirklich eine Chance. Viele Führungskräfte glauben nicht an den Erfolg, nachdem sie schon soviel unternommen und gehofft hatten, und machen es dem Mitarbeiter dadurch schwer. Öffnen Sie sich, lassen Sie sich überraschen (“Wunder gibt es immer wieder“) Auch Sie würden eine faire Chance haben wollen!

3. Der Plan

Behandeln Sie die Entwicklung von Fähigkeiten oder die Veränderung von Verhaltensweisen wie jedes andere Projekt: Mit allem, was dazu gehört.

Erster Schritt: Festlegung der Eckpunkte: Laufzeit, Inhalte, Meilensteine

Fast alle Veränderungsprojekte, die sich auf Fähigkeiten beziehen, haben eine Laufzeit von 6 bis 12 Monaten. Manchmal geht es schneller. Ein Beispiel, dass es länger als 12 Monate dauert, kenne ich aus meiner Coachingpraxis nicht.

Zweiter Schritt: Zerlegung in die Einzelbestandteile

Für die sozialen, kommunikativen und kognitive Leistungen gibt es keine Zahlen und Daten, sondern nur Wahrnehmungen von Verhaltensweisen. Damit der Mitarbeiter erkennt, was gemeint ist mit „Teamverhalten“, muss Teamverhalten in seine Einzelbestandteile zerlegt werden. Je kleiner diese Schritte sind, umso leichter sind sie umzusetzen und umso leichter entsteht die notwendige Verstärkung durch Wahrnehmung von Fortschritten.

Dritter Schritt: Feedbackplan und Visualisierung

Scheuen Sie sich nicht, alle Informationen in eine handschriftliche Grafik einzutragen. Der kann für die Zwischengespräche und mögliche Korrekturen oder Konkretisierungen genutzt werden.

 

 Wird – symbolisch gesprochen – die grüne Linie in der Entwicklung unterschritten, das heißt wahrnehmbare Fortschritte stellen sich nicht oder zu wenig ein, werden unter Umständen die personaldisziplinarischen Schritte wie Ermahnung, Abmahnung und mögliche Kündigung notwendig.

 

4. Begleitung

Die wichtigsten Schritte sind getan. Jetzt beginnt die eigentliche Entwicklungsarbeit und die Begleitung darin.

Erster Schritt: Begleiter auswählen

Spielen Sie nicht den Helden, der alles alleine hinbekommen muss. Sie brauchen Gesprächspartner, die Sie ins Vertrauen ziehen können. Die erste Adresse ist die Personalabteilung und die Personalentwicklung, ein Glücksfall kann aber auch ein Betriebsrat sein, mit dem eine echte Vertrauensbasis und gleiche Zielsetzung besteht. Ein Coach mit Führungserfahrung und jeder Kollege, der schon Ähnliches durch gemacht hat ist „Gold“ wert.

Zweiter Schritt: Struktur der Gesprächstermine

Der Erfolg hängt an der möglichst kurzen Taktung von Rückmeldungen kleiner Verbesserungsschritte. Dazu gehören regelmäßige Gespräche von ca. 10 bis 20 min. möglichst alle 14 Tage. Jeden Termin, den Sie verschieben, zeigt dem Mitarbeiter, dass Sie doch nicht so genau hinschauen. Rückschläge und Rückfälle gehören übrigens gerade bei Verhaltensveränderungen mit dazu.

Eine andere Art von Gespräch, das der Statusfeststellung dient (Sind wir auf der Spur? Müssen Zeit, Maßnahmen- oder Zielkorrekturen durchgeführt werden), sollte ca. alle 3 Monate stattfinden.

Kommt Ihnen das viel Zeit vor? Sagt das auch der Mitarbeiter, der dadurch wieder in die Spur gekommen ist? Sagen das auch die andern Mitarbeiter, die sehen, dass Sie Ihre Verantwortung wahrnehmen und versuchen eine Störung zu beheben? Ein Gewinn, den Führungskräfte immer mitnehmen, ist, dass Sie lernen, Gespräche über Arbeit zu führen und nicht nur in der Arbeit.

Dritter Schritt: Abschluss und Ende

Niemand weiß, wie es ausgeht. Es kann sein, dass sich der Mitarbeiter nicht verbessert oder die Umstände es nicht zulassen, dass die Aufgabe entsprechend geändert werden kann. Aber Sie haben alles in Ihrer Macht stehende getan.

Uns selbst kann es ja auch passieren, dass wir unser Niveau nicht halten können. Dann wären wir dankbar für einen Chef, der uns eine faire Chance gibt, aber uns auch in diesen Phasen trägt, auch wenn für eine bestimmte Zeit, das andere Ziel, nämlich die Ergebnisse zu erreichen nicht optimal erfüllt wird. Sie schaffen aber Zufriedenheit und Vertrauen auch für alle anderen in Ihrer Umgebung.

Nicht bei allen Klienten wurde das Ziel erreicht, aber alle kamen verändert aus diesem Prozess heraus. Sie hatten ein anscheinendes Dilemma gelöst. Sie konnten auch beim Kündigungsweg dem Mitarbeiter in die Augen und sich selbst in den Spiegel schauen. 

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Veröffentlicht in Effizienz.

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