Machtdistanz und Führung

Ulrich Grannemann – Die Führungskraft ist nur ein Teil des Ganzen. Erst im Zusammenhang mit den Geführten entsteht das ganze Bild.

 
Der Franzose Jean Baptiste Bernadotte wird schwedischer König und versucht seine Antrittsrede auf Schwedisch zu halten. Die Schweden finden das so lustig, dass sie lachen. Bernadotte hat nie wieder versucht schwedisch zu sprechen.
 
Korean Airlines verliert seine Starterlaubnis in den USA. Die Absturzrate war um ein Vielfaches höher als der Durchschnitt.
 
Eine deutsche Führungskraft gibt einer Kollegin in einem französischen Unternehmen ein Feedback. Drei Monate später bekommt sie aus für Sie nicht erklärbaren Gründen einen Auflösungsvertrag angeboten.
 
Ein junger Akademiker wird Führungskraft in der Logistik. Seine Mitarbeiter nehmen ihn nicht ernst und beschweren sich, dass er keine Entscheidungen trifft.
 
 
Was haben diese Geschichten oder Symptome gemeinsam? Sie lassen sich mit einem kulturell abhängigen Phänomen erklären: der Machtdistanz
 
Machtdistanz ist ein Maß für die erwartete und akzeptierte Distanz zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten.
 
Der Sozialpsychologe Mauk Mulder (1976) hat als erster den Begriff der Machtdistanz geprägt, Geert Hofstede hat dazu weitreichende, internationale Studien durchgeführt. (Lokales Denken, globales Handeln, dtv, 2005)
 
Je höher die Machtdistanz ist, umso weniger ist es erlaubt offene Kritik zu üben (Frankreich hat einen Machtdistanz-Index von 70, Deutschland einen Index von 35, bei einem Minimum-Wert von 11 für Österreich und einen Maximum-Wert von 104 in Malaysia)
 
Je geringer die Machtdistanz, umso stärker wird von gleich zu gleich gehandelt und auf Respektsäußerungen verzichtet. Dann darf auch gelacht werden (Schweden hat einen Index von 31).
 
Je höher die Machtdistanz, umso mehr verpacken Mitarbeiter ihre Informationen in Konjunktive und Höflichkeiten. „Könnten wir vielleicht etwas früher landen, es könnte sein, dass der Sprit nicht ganz reicht“ – Kommunikation des koreanischen Co-Piloten mit amerikanischen Fluglotsen, die den Ernst der Lage nicht erkannten (Index Korea: 60, USA: 40).
 
Je höher die Machtdistanz, umso mehr erwarten Mitarbeiter Entscheidungen von oben. Ein kooperativer Führungsstil wird als Nicht-Führung wahrgenommen (ungelernte und angelernte Mitarbeiter haben einen Machtdistanzindex von 90, Ingenieure einen von 22).
 
Dieser Zusammenhang macht deutlich, dass Führung nicht isoliert, sondern immer in Abhängigkeit mit den Geführten gesehen werden muss. Ob die Art wie ich führe erfolgreich ist, hängt davon ab, was die Mitarbeiter an Führung erwarten.
 
Die Machtdistanz wirkt wie ein Wahrnehmungs- und Interpretationsfilter und ist damit eine Quelle von Sender-Empfänger-Störungen in der Kommunikation:
 
Ein deutscher Chef hat viel für einen Messestand direkt am Eingang getan und ist froh über die entsprechend hohen Besucherzahlen. Es sind heiße Tage, die Glasflächen am Eingang lassen viel Sonne herein und die Klimaanlage ist defekt. Der Deutsche (Machtdistanzindex: 35) spricht mit einem tschechischen Mitarbeiter (Index: 57) und klagt: “Das ist ja nicht zum Aushalten“. Der deutsche Chef kommt am folgenden Tag erst am Nachmittag und findet seinen Stand ganz hinten in der Halle wieder. Auf seine wütende Frage, wer verdammt noch mal das angeordnet hat, bekommt er zu hören: „Sie!“. Geschichte entnommen aus: Die Deutschen – Wir Deutsche, Fremdwahrnehmung und Selbstsicht im Berufsleben, Sylvia Schroll-Machl.
 
Die Machtdistanz ist eine Erwartung und wirkt wie eine unbewusste Dekodierungsregel für Kommunikationsinhalte. Das, was für jede wichtige Kommunikation in der Führung gilt, gilt also für die Führung von Mitarbeitern unterschiedlicher Machtdistanzen erst recht: Nehmen Sie sich Zeit für das Setzen des Rahmens.

Der Rahmen beinhaltet die Absicht, das Ziel Ihrer Kommunikation und damit die Dekodierungsregel. Auch wenn Mitarbeiter mit hoher Machtdistanz bei der Frage nach eigenen Ideen zu Beginn nur „Bahnhof“ verstehen werden, oder bei der Frage nach Feedback für Sie selbst als Führungskraft zunächst völliges Unverständnis zeigen werden, so scheint es doch keine Alternative zum Setzen von Rahmen zu geben.

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