Das Burnout-Syndrom – eine „begriffliche Qualle“?

BurnoutEin Überblick über die wichtigsten Merkmale und der Umgang damit.

Dipl. Psych. Susanne Kopp -Viele Experten – viele Sichtweisen. „Burnout ist wie Pornographie – ich bin mir nicht sicher, ob ich es definieren kann, aber wenn ich es sehe, weiß ich, was es ist“, schreibt Forney. Matthias Burisch, Deutschlands bekanntester Experte, bezeichnet das Burnout-Syndrom als „begriffliche Qualle“. Was ist in all‘ dieser Flut von Informationen, Symptomen und Theorien das wichtigste Merkmal des Burnouts?

Es ist die Tatsache, dass der Mensch sich einfach nicht mehr erholt.
Schlaf, Sport, Bewegung, Entspannung – der gewohnte Effekt des Auftankens tritt nicht mehr ein. Egal wie sehr ich mich bemühe, abzuschalten, es gelingt nicht. Graham Greene lässt seine Hauptfigur, einen ausgebrannten Architekten in dem Buch „Ein ausgebrannter Fall“ sagen: „Ich habe zu viel gemacht, für zu viele Menschen, für zu lange Zeit, mit zu wenig Rücksicht auf mich selbst.“

Das Burnout- Syndrom weist drei Kernsymptome auf:
1.     Arbeitsüberdruss, mangelnde Freude am Beruf, Leistungsunzufriedenheit
2.     Permanente Erschöpfung körperlicher, mentaler und emotionaler Art
3.     Depersonalisation, Selbstentfremdung. Erlebnisse und Handlungen haben für den Betroffenen oft einen unwirklichen Charakter und werden nicht mehr auf die eigene Person bezogen, sondern wie aus der Zuschauerrolle heraus betrachtet.

Gibt es auch eine gute Nachricht bzgl. des Burnout-Syndroms?
Ja, denn Burnout ist ein Prozess. Der Begriff selbst beschreibt das Ergebnis des Ausgebranntseins. Menschen „brennen“ jedoch nicht von heute auf morgen aus. Und auch im ausgebrannten Zustand können sie sehr wohl handeln und ihr Leben zum Guten verändern. Das hängt also wesentlich von dem Stadium ab, in dem der Burnout-Betroffene sich befindet und seiner Bereitschaft zur Selbsterkenntnis.
Weitgehende Einigkeit besteht über Ablauf der Burnout-Stadien. Ausgebranntsein ist das Ergebnis eines sich über Jahre entwickelnden Prozesses. Im Endstadium brechen Menschen physisch oder psychisch zusammen. Die Folgen sind weitreichend: Mitarbeiter lassen sich für längere Zeit beurlauben, sie wechseln den Arbeitsplatz, geben ihren Beruf auf oder werden berufsunfähig. Manche setzen ihrem Leben ein Ende.

Wie kommt es zu diesem starken Energieverlust?
Bildlich betrachtet handelt es sich um einen andauernden Energieabfluss ohne Energienachschub. Der Akku ist leer und kann nicht mehr aufgeladen werden. Und hierin liegt auch der Unterschied zur normalen, körperlichen Müdigkeit nach einer größeren Belastungsphase: der Mensch kann sich nicht mehr natürlich regenerieren. Er erholt sich nicht mehr von seinen Anstrengungen.
Die Bedingungsfaktoren des Burnout liegen sowohl in der Person des Betroffenen als auch in organisations- und arbeitsplatzbezogenen Merkmalen. In der heutigen Zeit kommen gesellschafts- und wirtschaftspolitische Faktoren hinzu, die den Burnout-Prozess von Arbeitnehmern in Organisationen, die von tiefgreifenden, schnell aufeinanderfolgenden Veränderungen betroffen sind, deutlich beschleunigen.
Wenn Sie wissen wollen, ob Sie gefährdet sind oder einfach nur neugierig sind, hier geht’s zum Online-Test von Prof. Matthias Burisch.

Welches sind die ersten Warnsignale?
Kreisende Gedanken und tiefe Erschöpfung sind Alarmsignale. Kritisch wird es, wenn Menschen nach der Arbeit nicht mehr abschalten können. Der Schlafrhythmus ist durch lange Wachphasen und Grübeleien gestört. Über einen längeren Zeitraum wird dies zum Teufelskreis: die ausgebliebene Erholung schwächt die seelische und körperliche Widerstandskraft. Die Arbeitsleistung lässt mangels Konzentration nach, mit der verbleibenden Kraft wird immer weniger erreicht. Ein Gefühl des Ungenügens stellt sich ein. Das ist besonders dramatisch, wenn der Mensch stark mit seiner Arbeit identifiziert ist, sich nur wertvoll fühlt, wenn er leistet.
Nicht nur der Selbstwert leidet dann erheblich, oft folgt die selbst gewählte Isolation. Sozialer Kontakt ermüdet Burnout-Erkrankte oft wegen des interaktiven Elements, der Burnout-Erkrankte ist langen Gesprächen und komplexen Gedankengängen nicht mehr so gewachsen. Er reagiert nicht mehr so flexibel und schnell, lässt in der Konzentration deutlich nach. Der Mensch wendet sich folglich von Kollegen und seinem privaten Umfeld immer mehr ab – ein gefährliches Warnsignal, weil er dann für Feedback und Hilfestellungen oft keine Person mehr hat, der er vertraut. Dem gilt es frühzeitig entgegenzuwirken.
 
Müssen wir aus gesundheitlichen Gründen vor zu viel Engagement warnen?
Nein, ein hoher Energieeinsatz wirkt nicht per se gesundheitsgefährdend. Außerordentliche Leistungen können jahrelang den persönlichen Energieakku auffüllen, wenn die Voraussetzungen im persönlichen und beruflichen Umfeld stimmen. Diese Ergebnisse kennt man auch aus der Stressforschung bezüglich Eu- und Distress.
Dr. Gunther Schmidt, Facharzt, Coach und Leiter einer psychosomatischen Klinik, hat im April 2011 einen vielbeachteten Vortrag über „Burnout als Kompetenz“ gehalten. Seiner Meinung nach tritt Burnout besonders dann auf, wenn wichtige Wertehaltungen aus der Balance geraten. Aus seiner Sicht sind die Betroffenen oft loyale, kompetente und engagierte Mitarbeiter, die sich im „Dienste höherer Ziele“ verausgabt haben. Aus verschiedenen Gründen ergeben diese Ziele plötzlich nicht mehr so viel Sinn wie früher. Sie lohnen sich nicht mehr. Der Mitarbeiter muss infolgedessen seine Kompetenzen und Werthaltungen in eine neue „zielgerichtete Balance“ bringen. Somit sind Sinnkrise und Verweigerung des Körpers eine Denkchance für den Menschen, zu einer Neubestimmung in seinem Leben zu finden.
Geheilte Burnout Erkrankte berichten häufig, sie hätten durch den Burnout zu einem kongruenteren und authentischeren Lebensstil gefunden. Manche ändern sogar ihren Beruf und folgen ihrer Berufung. So der Manager David Whyte, der im Zuge seiner Burnout Genesung zu einem sehr erfolgreichen Schriftsteller wurde. An einer Stelle gibt er seine Unterhaltung mit dem Benediktiner Brother David wieder. Dessen Antwort auf die Frage nach der Genesung vom Burnout trifft den Kern: „das Gegenmittel gegen Erschöpfung ist nicht zwangsläufig Ruhe…das Gegenmittel gegen Erschöpfung ist, mit dem ganzen Herzen dabei zu sein“.
Dinge von ganzem Herzen tun, ist seine Empfehlung. Sich nicht spalten zu lassen in einen Wertekonflikt zwischen Arbeit und Freizeit, wie er heutzutage auch in dem Begriff der Work-Life-Balance zum Ausdruck kommt (als ob Arbeit und Leben ein auszugleichender Gegensatz wäre). Courage ist dazu erforderlich. Und wieder weist der Benediktiner auf das Herz hin. Courage kommt von franz. „coeur“. Beherzt den ersten Schritt aus der Burnout-Spirale tun, zieht die nächsten Schritte nach sich und hat hohe Aussicht auf seelische Gesundung und ein wertvolles Leben.

Ein paar Faustregeln für den Führungsalltag:
An dieser Stelle sei ausdrücklich gewarnt vor einer Festschreibung von Burnout-Typen wie sie in der Fachliteratur und auf manchen Internetseiten dargestellt sind. Das klinische Bild ist so vielfältig, dass es einer sorgfältigen medizinischen und psychotherapeutischen Abklärung bedarf. Verabschieden Sie sich von Kategorien A,B,C oder D. Überlassen Sie die diagnostische Abklärung den Fachleuten.
Berufliche Einschnitte begünstigen Burnout.
Viele Burnout Prozesse starten in einer Zeit, in der es eine „biografische Zäsur“ (Burisch) gibt. Plötzlich ändert sich die Umwelt. Das kann der Berufseinstieg eines erfolgsgewohnten Absolventen sein, der häufig eine „Kompetenzkrise“ auslöst; ein neuer Vorgesetzter mit einem veränderten Führungsstil; ein Fusionsprozess, der eine Arbeitsplatz- und Werteverschiebung mit sich bringt; eine erwartete, aber ausgebliebene Beförderung. In solchen Fällen kann das Burnout-Syndrom durch die mangelnde Zielerreichung ausgelöst werden. Die ursprünglichen Ziele des Mitarbeiters müssen auf den neuen Kontext angepasst werden, was in vielen Fällen große physische und psychische Energie verlangt. Dieser Prozess wird von den Verantwortlichen häufig unterschätzt und begünstigt die Burnout-Spirale – insbesondere in der Zeit der Globalisierung.
Systembedingte Burnout-Quellen können z.B. in der unzureichenden Vorbereitung auf die Einführung neuer Arbeitsmethoden und Technologien, und in betriebsbedingten Veränderungen (z.B. neue Aufgaben und Produkte, Konkurrenzdruck, Standortverlagerung, Fusionen, Übernahmen) liegen.
Führungskräften kommt eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Burnout zu. Gerade der engagierte Mitarbeiter, mit seiner Aufopferungsbereitschaft, sollte auch mal „nein“ sagen und sich nicht über Gebühr verausgaben. Hier kann die Führungskraft präventiv wirken und den Mitarbeiter vor sich selbst schützen. Gleichzeitig gilt es auch der Versuchung zu widerstehen, diese Mitarbeiter immer wieder als erste anzusprechen. Sie sind häufig große Stützen und viel gefragt.
Stress ist ein Statussymbol, das positiv oder negativ besetzt sein kann. Es kann schwierig für Mitarbeiter sein, zuzugeben, ausgebrannt zu sein oder unter Stress zu leiden. Stress kann mit Status verknüpft sein, und wer Stress hat, ist bedeutsam und wichtig. Es gibt aber auch die Tendenz der negativen Ansteckung. Plötzlich konkurrieren Mitarbeiter einer Abteilung darum, wer am meisten Stress hat und am wenigsten belastbar ist. Auch hier gilt das präventive „Wehret den Anfängen“, denn solche Mechanismen verselbstständigen sich leicht.

Aus der Sicht der Führungskraft. Umgang mit Burnout-Gefährdeten – praktische Tipps:
1.      Hören Sie zu. Zeigen Sie Mitgefühl und Anteilnahme. Bringen Sie eigene Erfahrungen ein.
2.      Knüpfen Sie an positive Eigenschaften des Mitarbeiters und machen Sie ihm seine Erfolge bewusst. Gerade der engagierte Mitarbeiter braucht Ihre Anerkennung und Ihre Wertschätzung.
3.      Geben Sie im ersten Gespräch Ratschläge eher dosiert, besser erst in einem folgenden Gespräch.
4.      Es gibt durchaus die Chance, einen drohenden Burnout frühzeitig zu erkennen und gegen die drohende Erkrankung anzugehen. Oft fehlt den Betroffenen die Klarheit, dass es sich bei dauerhaften Schlafstörungen und chronischer Erschöpfung um Warnsignale handelt. Je stärker die Symptome sind und je später man sie erkennt, desto schwieriger wird die Therapie, und eine stationäre Behandlung ist nötig. Werden die Betroffenen früh behandelt, reichen meist ambulante Hilfestellungen aus. Geben Sie diese Information ihrem gefährdeten Mitarbeiter und weisen Sie sanft aber auch beharrlich auf die möglichen Folgen hin.
5.      Machen Sie gemeinsame, brückenbauende Werte bewusst und finden Sie erreichbare Ziele (kurzfristig und langfristig). Das öffnet den Horizont und zeigt das Licht am Ende des Tunnels.
6.      Rechnen Sie damit, dass der Mitarbeiter im fortgeschrittenen Stadium nicht mehr sehr aufnahmefähig ist. Wenn Sie die Liste der Symptome noch einmal unter dem Aspekt der Führung des Mitarbeiters durchgehen, stellen Sie vielleicht fest, dass Sie schon lange Zeit Schwierigkeiten haben, den Mitarbeiter zu „erreichen“. Bauen Sie den Kontakt langsam auf.
7.      Seien Sie ehrlich mit der Situation. Eine Burnout-Gefährdung eines Mitarbeiters sollte nicht überspielt oder bagatellisiert werden.
8.      Wenn es schon sehr ernst ist, ziehen Sie selbst betriebsinterne oder externe Hilfe zur Rate. Sollte der Mitarbeiter offen sein, finden Sie eine Person seines Vertrauens im Betrieb, die bei ersten Schritten hilft. Oft sind die Burnout Betroffenen zu erschöpft, um Beratungs- oder Therapietermine abzumachen. Selbst kleine Schritte sind ihnen zu viel und sie empfinden es als hohe Entlastung, wenn andere Ihnen diese „Arbeit“ abnehmen.

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