„Da hinten liegen die Taschentücher“

Aufgezeichnet von Nadine Bös – Ein Kündigungsgespräch ist hart – nicht nur für den betroffenen Mitarbeiter, auch für den Vorgesetzten. Hier erzählt eine Führungskraft aus der Zeitarbeitsbranche, wie sie die Tiefpunkte der Krise erlebt hat.

Ganz schwierig ist es, wenn jemand anfängt zu weinen. So eine Entlassung, das ist so etwas Endgültiges. Das hebt einen zwangsläufig total aus den Angeln. Und es ist nichts, was man irgendwie nett rüberbringen könnte. Ich habe immer den Wunsch zu sagen, wie leid mir das tut, dass ich dem Mitarbeiter kündigen muss. Aber solche Aussagen kommen in der Situation einfach nicht an. Im Gegenteil. Drum herum reden ist eigentlich das Schlechteste. Das macht alles nur noch schlimmer.

In dieser Krise war besonders hart, dass keiner von uns Erfahrung hatte mit dieser Dimension des wirtschaftlichen Niedergangs. Bis Dezember 2008 hatten wir noch um gute Mitarbeiter gerungen. Als Zeitarbeitsfirma ist man ja ohnehin schon immer Arbeitgeber zweiter Wahl. Und wir waren über lange Strecken verhaftet in dieser Einstellungshysterie. Wir hatten so lange um jeden guten Kopf gekämpft. Und dann auf einmal sollst du umschalten, quasi von einem Tag auf den anderen führst du keine Einstellungsgespräche mehr, sondern sollst Leute rausschmeißen.

Wenn man schon zwanzig Jahre im Geschäft ist, so wie ich, dann sind Trennungsgespräche eigentlich nichts Neues. Ich habe bestimmt schon hundert davon geführt in meinem Leben. Aber es kehrt keine Routine ein. Niemals. Jeder Mitarbeiter ist anders, und jedes dieser Gespräche ist anders. In der jetzigen Wirtschaftskrise musste ich auch einige Kündigungsgespräche führen, die nicht die Zeitarbeitnehmer selbst betrafen, sondern deren Vorgesetzte an Standorten, die nicht mehr rentabel waren. Ich musste mich von Leuten trennen, die absolut tadellose Arbeit gemacht haben. Teilweise habe ich wochenlang vorher nachgedacht, wie ich meine Argumente formuliere. Wie ich ihnen das erkläre, dass ich hochzufrieden bin mit ihrer persönlichen Leistung, aber dass ich ihre Niederlassung schließen muss, damit die Firma nicht den Bach runtergeht. Drei Standorte habe ich inzwischen schon dichtgemacht. Es ging nicht anders.

Wenn jemand bei mir am Tisch sitzt und in Tränen ausbricht, dann muss ich erst mal verdammt aufpassen, dass ich nicht mitweine. Ich muss dann ganz ruhig bleiben, stark sein. Wie ein Arzt, mehr oder weniger. Der muss seinem Patienten ja auch Sicherheit vermitteln. Das klappt mal besser und mal schlechter. Mir ist es auch schon passiert, dass ich denjenigen dann einfach in den Arm genommen habe. Wichtig ist es, die Leute erst mal weinen zu lassen. Irgendwann sage ich dann: "Da hinten liegen die Taschentücher." Und hoffe, dass es vorbeigeht.

Solche Gespräche – natürlich nimmt man das nach Feierabend mit nach Hause. Weniger, wenn es dann vorbei ist, aber vorher. Ich brauche oft ewig, um mich zu der Entscheidung durchzuringen, dass eine Trennung sein muss, und muss das immer wieder vor mir selbst rechtfertigen. Schwierig ist das vor allem, wenn man weiß, dass es mit einem Mitarbeiter schlecht läuft, aber sich nicht so richtig erklären kann, warum. In solchen Fällen gehe ich gern ins Schwimmbad, Bahnen schwimmen, um den Kopf frei zu bekommen. Einmal hat mich ein Trennungsgespräch so beschäftigt, dass ich selbst da noch das Gefühl hatte, die Mitarbeiterin schwimmt die ganze Zeit neben mir her.

An das erste Kündigungsgespräch, das ich führen musste, erinnere ich mich genau, obwohl das jetzt schon mehr als ein Jahrzehnt her ist. Die Dame, um die es damals ging, war schon älter, viel länger im Unternehmen als ich. Und sie war ihrer ganzen Aufgabe einfach nicht mehr gewachsen. Da hatte sich mit der Zeit so viel verändert, das überforderte sie. Aber es war schon komisch. Da weißt du dann genau, diese Person hat so viel getan für die Firma, so viele Jahre lang – und das war es jetzt. Ich habe ihr sogar eine andere Tätigkeit angeboten, eine mit weniger Verantwortung. Aber wie viele in der Situation hat sie das als Degradierung empfunden.

Es gibt etliche, die so reagieren, die dann sagen "ganz oder gar nicht". Und mal ehrlich: Ich wüsste auch nicht, wie ich mit so etwas klarkäme. Was macht das mit einem Menschen, wenn man ihm sagt: Hör zu, du bringst nicht das, was wir von dir erwarten? Das Tückische ist ja auch, dass man selbst eigentlich auf der komfortablen Seite sitzt in so einem Gespräch. Es ist schwierig, den Rausschmeißer machen zu müssen. Das ist zuweilen schon ein komisches Gefühl: dass man sich schlecht fühlt in dem Moment, aber eigentlich gar nicht in der Position ist, zu jammern.

Manche Mitarbeiter reagieren auch ganz unemotional in so einem Trennungsgespräch. Da kann man buchstäblich sehen, wie sie sich zusammenreißen und sich erst mal selbst sortieren und dann direkt fragen: Wie geht’s jetzt weiter? Soll ich heute noch meine Sachen packen? Kann ich noch einen Monat länger bleiben? Kann ich meinen Anwalt anrufen? Da muss man vorbereitet sein, auf alles eine Antwort wissen.

Ich hatte auch schon mal jemanden, der verfiel in so eine Art Schockstarre, sagte gar nichts mehr und ließ alles an sich abprallen. Das war, als würde eine Eisschicht zwischen uns einziehen. Und dann wird einem bewusst, was da auf einmal für eine Machtsituation da ist. Ich bin sonst keine Hardliner-Chefin, ich bin eher für flache Hierarchien bekannt. Und im Alltag entscheidest du auch selbst als Führungskraft, wie viel du dich zurücknimmst und dich mehr oder weniger mit allen auf eine Ebene begibst. Aber in der Situation funktioniert das nicht mehr. Da wird dir vor Augen geführt, welche Macht du eigentlich hast, auch wenn du dich sonst davor eher versteckt hast.

In der Zeitarbeit kommt dann noch dazu, dass die ganze Branche nach außen hin ja sowieso schon so ein Geschmäckle hat. Wenn in der Automobilindustrie Leute entlassen werden, dann heißt es immer: Klar, die sind jetzt so arm dran wegen der Wirtschaftskrise, und jeder unterstellt automatisch, dass alles versucht wurde, um die Leute zu halten. Bei uns unterstellt das keiner, im Gegenteil. Das macht die Sache nicht gerade leichter.

Ich bemühe mich immer, fair und aufrichtig zu sein, gerade im Kündigungsgespräch. Ich lade die Leute immer persönlich ein, in mein Konferenzzimmer. Wir sitzen am runden Tisch, so dass man sich in die Augen schauen kann, aber sich auch nicht so knallhart eins zu eins gegenüber sitzt. Ich versuche immer, im ersten Satz direkt zur Sache zu kommen. Bloß keine Bemerkung übers Wetter machen. Bloß nicht fragen, wie es dem anderen geht. Bloß keine Floskeln. Ich sage lieber Dinge wie: "Danke, dass Sie gekommen sind, ich habe heute ein ernstes Anliegen." Oder: "Ich habe keine gute Nachricht für Sie. Ich muss Ihnen leider die Kündigung aussprechen." Aber egal, wie fair du versuchst zu sein, nach außen dringt das gar nicht durch. Da wirst du dann trotzdem mit dem Konkurrenten verglichen, der damals im Nokiawerk einfach vorgefahren ist und den Zeitarbeitern reihenweise Kündigungszettel in die Hand gedrückt hat.

Diese ganzen Rezepte, wie man sogenannte "gute" Trennungsgespräche führen sollte, funktionieren umso schlechter, je näher man mit den Betroffenen zusammengearbeitet hat. Das wird dann automatisch emotional, man kennt sich ja so gut und so lange. Das ist auch das Tückische an dieser Krise. Ich würde sonst den Teufel tun, einen zu entlassen, mit dem ich gut und gerne zusammengearbeitet habe. Inzwischen haben wir auch so stark abgespeckt, dass alle, die noch da sind, wirklich Top-Leute sind. Und wenn da noch mal was passieren würde . . . Das wäre nicht auszudenken, wenn ich mich von jemandem aus meinem eigenen Team trennen müsste. Habe ich Angst davor? Ist das Angst? Es wäre der Super-Gau.

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Veröffentlicht in Arbeitsmanagement.

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