Sabine Meinert – Wer seine Mitmenschen fasziniert und sie gut motivieren kann, dem wird oft Charisma zugeschrieben. Neidvoll muss mancher anerkennen, dass ihm eine derart starke Ausstrahlung fehlt. Experten sagen aber: Das kann man lernen.
Adele Landauer ist Coach und Buchautorin und bietet auf diesem Feld Hilfe zur Selbsthilfe. Charisma sei kein Gottesgeschenk, das man habe oder nicht, so ihr Credo. „Charisma hat – zumindest zeitweise – jeder. Als Kind besitzt jeder eine ganz natürliche Art, mit sich eins zu sein. Er lebt eine totale Einheit von Denken, Fühlen und Handeln, die im Verlauf des Erwachsen-Werdens häufig leider verloren geht.“
Die Trainerin macht dies mit einem einfachen Bild plastisch: Ein Kind, das einen Turm baue, wisse nicht, wie viele Steine es gefahrlos übereinander setzen könne. Welcher Stein den Turm letztlich ins Wanken bringe, sei für Kinder nicht rational zu fassen, sie erfühlten es eher. Ohne dabei ihr Denken abzuschalten oder das Ausprobieren zu stoppen, so Landauer.
Ihrem Ansatz zufolge geht erst in der Schule mit der besonders starken Konzentration auf das Rationale die Einheit von Denken, Fühlen und Handeln verloren. Oftmals schwinde auch die Lust, Dinge mit Hingabe zu tun. Dennoch: Was man verlernt habe, könne wieder erworben werden, ist sich die Fachfrau mit anderen Experten einig.
Neben Inhalt zählt auch Präsentation
Wie wertvoll charismatische Züge sein können, hat sicher jeder schon erlebt. Der Kollege, der geradezu innerlich strahlt, wenn er begeistert von seinem Hobby erzählt oder der Nachbar, der Feuer und Flamme ist, seit er in seinem Job eine Aufgabe bekam, die ihm liegt – sie alle machen deutlich, dass nicht nur zählt, was man berichtet, sondern auch wie. Und: wie man damit überzeugt. „Inhalt ist wichtig, aber der Körper sendet Signale, die häufig deutlich stärker als das Gesagte wahrgenommen werden“, so Adele Landauer. „Und jeder braucht Techniken, mit denen er sich und seine Ziele richtig vertreten kann – ob bei einer Bewerbung, bei Produktpräsentationen, im Meeting mit Kollegen oder auch auf einer Bühne zum Jubiläum des Sportvereins.“
Die gelernte Schauspielerin und Schauspieldozentin baut ihre Seminare wie Schauspielunterricht auf. Sie versucht, die Aufmerksamkeit der Teilnehmer stärker auf die eigene Person lenken, ohne das Gegenüber und den Inhalt, den man präsentieren will, aus dem Blick zu verlieren. Sie versucht zu erreichen, dass jeder aus seinem tiefsten Inneren heraus agiert und dadurch überzeugt.
Hintergrund ist: Häufig gibt es eine große Diskrepanz zwischen Können und Präsentieren. Hinzu kommt die tägliche Hektik. Fachlich extrem kompetente Menschen können daher durchaus mit ihren Projekten scheitern, weil sie nicht rüberbringen können, was ihnen wichtig ist. „Aber jeder hat tief in sich etwas ganz Besonderes, das positiv auf andere wirkt. Das wiederzuentdecken und aus der Tiefe zu heben – ohne dass man dabei sein Ich aufgibt – darauf kommt es an“, so Landauer.
Wie will ich wirken?
Im Charisma-Training ist für die Trainerin deshalb die wichtigste Frage: Wie will ich nach außen wirken? „Souverän, sympathisch, vertrauenswürdig“ kommt dann oft als Antwort. „Langweilig, überspannt oder arrogant“ will dagegen niemand rüberkommen. Nur wie oft trifft man Menschen, die eher Letzteres ausstrahlen, obwohl sie das gar nicht wollen?
Mit Video-Aufzeichnung erarbeitet Landauer, welche Strategien helfen, seine Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Meist ist das Wichtigste, sich selbst zu überzeugen, sich selbst deutlich zu machen: Es ist toll, was Du vorhast. „Denn wer nicht hinter einer Sache steht, sollte es vielleicht ganz sein lassen, da helfen auch die besten Techniken nur wenig“, warnt Landauer, die sich bereits mit Büchern zum Thema profiliert hat. Sie verweist auf tägliche Erfahrungen: So verraten oft die Augen, die Gesten oder die Stimme, wenn man unsicher ist. Auch hektische Menschen büßen viel von ihrer Ausstrahlung ein.
Zum Charisma-Training gehören deshalb Basis-Körperübungen, zum Beispiel wie man „richtig“ steht oder geht. Sich bewusst zu machen, welche Signale man mit welcher Haltung sendet, kann schon weiterhelfen. Mit abgeknickter Hüfte und der Hand in der Hosentasche herumstehen – zu lässig für manchen offiziellen Termin. Schlurfender Schritt beim Firmenrundgang – könnte als gelangweilt und motivationslos gewertet werden. Fehlende Körperspannung im Gespräch – das Gegenüber sieht darin vielleicht mangelndes Interesse.
„Wer nur so ‚in der Wäsche hängt‘, gibt sicher kein gutes Bild nach außen ab. Wer beispielsweise am Mikrofon steht und spricht, sollte in einer aufrechten Haltung mit dem Gewicht auf beiden Beinen stehen“, sagt Landauer. „Die Basis ist eine natürliche Gespanntheit in der Körpermitte, wobei jegliche Über- oder Unterspannung vermieden werden sollte – eine Haltung, wie sie Naturvölker oder auch die indischen Frauen besitzen. Oder haben Sie schon mal eine im Rücken krumme Inderin mit hängenden Schultern und schleifendem Sari gesehen?“
Die Nussmethode
Adele Landauer empfiehlt eine kleine, aber sehr wirksame Übung, um die richtige Körperspannung zu finden: „Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine Haselnuss zwischen den Pobacken und müssten diese beim Präsentieren festhalten. Sie sollen sich dabei nicht verkrampfen, sondern einfach nur dafür sorgen, dass diese kleine, leichte Nuss nicht herunterfällt.“ Die Übung sorgt dafür dass sich das Becken aufstellt und man mit leichter Spannung aufrecht steht.
Zusatzübung: „Stellen Sie sich vor, Ihr Kopf sei an einem Faden aufgehängt, der ihn leicht nach oben zieht. Dabei in der Körpermitte nicht durchhängen und das Kinn ein wenig zur Brust nehmen. Lassen Sie die Arme vollkommen locker hängen und ein Lächeln um ihre Mundwinkel spielen.“
Tipp: Überprüfen Sie per Video, ob ihnen die einzelnen Schritte gelingen.
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Wie hilfreich auch kleine Übungen sind, erlebt Landauer täglich. Die CEOs mehrerer Unternehmen lassen sich von ihr kurz vor anstehenden Pressekonferenzen, Hauptversammlungen oder anderen wichtigen Reden coachen. „Das Ziel ist, beim Sprechen voll bei den Menschen zu sein, bei jedem Einzelnen. Denn ich versuche auf jeden Fall zu vermitteln: Wenn jemand vor eine Gruppe Menschen tritt und präsentiert, hat er nicht das Recht, auch nur einen einzigen zu langweilen“, lacht die Trainerin.
Ein bisschen Professionalität gehört natürlich dennoch dazu. Wer sich mal nicht so fühlt, aber ein Projekt in größerer Runde vorstellen muss, kann schlecht einfach absagen. Der Expertentipp ist dann, sich selbst zu motivieren. „Überlegen Sie doch mal, was Sie tun können, um sich gut zu fühlen: einen Tee trinken, einen Spaziergang vor der Präsentation machen oder sich bei einem Schwatz von einem gutgelaunten Kollegen anstecken lassen?“ Und dann gelte es, im besten Sinne präsent zu sein.
Das „Zuviel“ vermeiden
Die Gefahr – wie bei allem – besteht darin zu überziehen, vor lauter „Charismatisch-Sein-Wollen“ eine Show abzuziehen. Damit verkehrt man jegliche Bemühungen ins Gegenteil, hat sicher jeder schon erfahren. Nichts falle schneller auf als ein falsches Lächeln, bestätigt Landauer. Als Beispiel dafür führt sie den ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber an, der versuchte, Sympathiepunkte durch einen freundlicheren Umgang und häufiges Lachen zu ernten. „Doch wenn die Augen ‚kalt‘ bleiben, hilft auch kein breites Grinsen“, sagt die Fachfrau. „Jedes Lächeln startet in den Augen.“
Ganz anders US-Präsident Obama, dem die Trainerin jede Menge Charisma attestiert. Er stelle eine Verbindung zu seinen Zuhörern her und habe sich ein natürliches, herzliches Auftreten bei unglaublicher Präsenz bewahrt, damit berühre er sein Publikum. Auch Kanzlerin Angela Merkel habe auf diesem Feld enorm dazugelernt, anerkennt Landauer. „Manchmal blitzt ihr der Schalk nur so aus den Augen – da gab es früher ganz andere Bilder von ihr. Ihre gesamte Ausstrahlung und damit ihr Charisma hat sich erhöht.“
Was Charismatiker sich aus ihrer Kindheit herübergerettet haben, müssen sich andere erst wiederholen oder antrainieren. Doch wer seine Ziele definiert, die innere Einstellung manifestiert und ein paar Techniken übt, der kann sein wahres Wesen wieder zum Vorschein bringen. Im Job – gerade als Führungskraft – ist es ein unschätzbarer Vorteil, wenn man nicht nur von sich sagt „Ich bin kompetent, überzeugend, selbstsicher und sympathisch“, sondern auch die dafür verantwortlichen nonverbalen Signale sendet, damit man sein Umfeld tatsächlich davon überzeugen kann.