Netzwerke und Nestwärme

Eva Tenzer – In gut konzipierten Büros arbeiten Mitarbeiter effizienter. Doch was ist gut? Das klassische Großraumbüro auf jeden Fall nicht, sagen Architekturpsychologen.

Architektur beeinflusst das Wohlergehen. Räume können Kreativität fördern und Stress mindern, aber sie können auch das Gegenteil davon bewirken. Und sie beeinflussen unsere Art zu arbeiten, was offenbar schon John Rockefeller wusste, dem der Ausspruch zugeschrieben wird: „Kleinliche Gebäude beherbergen kleinliche Gedanken.“ Winston Churchill pflichtete bei: „Zuerst gestalten wir Gebäude, dann gestalten sie uns.“

Büros haben sich mit der Zeit stark verändert: von den Zellen der „Uffici“ in Florenz (die Pate standen für den Begriff „office“) über karge Räume an langen Korridoren bis hin zum palmenbestückten Großraumbüro, das heute oft wieder in kleinere Einheiten parzelliert wird. In vielen Unternehmen setzt sich die Erkenntnis durch, dass zufriedene Mitarbeiter loyale und produktive Mitarbeiter sind. Das wird zunehmend auch empirisch untermauert: „Arbeitswissenschaftliche Studien belegen den Zusammenhang zwischen Bürogestaltung, Wohlbefinden und Leistung der Beschäftigten. Wer sich wohl fühlt, ist motivierter und produktiver, das zeigen Laborexperimente wie Feldstudien eindeutig“, sagt Peter Richter, Architekturpsychologe der Universität Dresden.

Büroarbeit ist vielfältig: Aufgaben allein und im Team lösen, Kunden beraten, mit Kollegen kommunizieren und Ideen entwickeln. Wichtig sind auch Rückzug, Auftanken und ein Gefühl von Sicherheit im eigenen „Territorium“, betonen Psychologen. Angestellte wollen heute mehr als Wandkalender und Yuccapalme, um gerne zu arbeiten. „Da spielen viele Faktoren eine Rolle, wie Außengelände, Infrastruktur, Fassade und Eingangsbereich, Vortrags- und Konferenzräume mit guter Akustik und Medientechnik, aber auch die Verteilung von Gruppen- und Einzelbüros. Das beeinflusst soziales Miteinander, gegenseitige Kontrolle und Wohlergehen“, erklärt Rotraut Walden, Architekturpsychologin an der Universität Koblenz-Landau.

Wenn es nach ihr ginge, wäre das Büro der Zukunft weder das bienenwabenartige Einzelbüro noch das starre Großraumbüro. Es ließe sich vielmehr an wechselnde Bedürfnisse des Arbeitslebens anpassen. Eine Forschungsgruppe am Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) ist mit dem Projekt „Office21“ solchen effizienzsteigernden Innovationen auf der Spur. Auch der stellvertretende Institutsleiter Wilhelm Bauer sieht vor allem den „Trend hin zu flexiblen Arbeits- und Bürolösungen, die sich an die unterschiedlichsten Bedürfnisse anpassen lassen. Bürohäuser werden immer mehr zu Knotenpunkten einer vernetzten Arbeitswelt, verbunden mit Satellitenbüros, Telearbeitern und mobil angebundenen Beschäftigten“, sagt Bauer. „Das muss von der Architektur unterstützt werden.“

So setzen Designer verstärkt auf flexible Systeme, die je nach Bedarf Vernetzung und Interaktionen fördern, aber auch Rückzugsmöglichkeiten für konzentriertes Arbeiten oder Entspannung bieten. Die von Experten favorisierte Lösung heißt Kombibüro. Dort gruppieren sich Einzelbüros an den Rändern des Gebäudes um einen zentralen Service- und Kommunikationsbereich, der von allen genutzt werden kann, etwa für Besprechungen. Solche Kombibüros wie in der Zentrale der Commerzbank in Frankfurt lösen ein Problem moderner Büroarchitektur, nämlich das der Territorialität: Man hat sowohl ein eigenes Territorium mit persönlichem Entscheidungsspielraum, aber auch öffentliche, für alle zugängliche Arbeitsbereiche für den Austausch.

Der Schweizer Möbelhersteller Vitra etwa gestaltet Büroräume nach dem „Net-’n‘-Nest“-Prinzip: Mit einer offenen und flexiblen Struktur unterstützen die Großraumbüros die Interaktion der Mitarbeiter (Netting). Andererseits ermöglichen Rückzugsbereiche, etwa durch den Einsatz von Sofas mit hohen Außenkanten und Rücken, die, einander gegenübergestellt, eine Art Kammer bilden, eine Abgrenzung vom Bürotrubel (Nesting). In diesen Entspannungsräumen können Mitarbeiter in Ruhe nachdenken, Pausen einlegen und informelle Gespräche führen. Sie entscheiden selbst, welchen Bereich sie für eine Aufgabe wählen. Das Unternehmen richtete das System auch für die eigenen Mitarbeiter ein und ließ die Wirkung vom Münchener Forschungs- und Beratungsinstitut DEWG untersuchen. Ergebnis: hohe Zufriedenheit, überdurchschnittliche Identifikation mit den neuen Arbeitsplätzen und Rückgang krankheitsbedingter Fehlzeiten. Firmen wie Accenture oder Novartis haben das System übernommen.

Architekturpsychologen sind überzeugt, dass vor allem das klassische Großraumbüro, Schrecken vieler Arbeitnehmer, solchen flexiblen Konzepten weichen wird, da es vitalen menschlichen Bedürfnissen zuwiderläuft, wie Rotraut Walden moniert: „Gespräche und Telefonklingeln verursachen Lärm, die Raumtemperatur wird von dominierenden Personen bestimmt, die Fenster öffnen oder Heizungen hochdrehen.“ Solche unkontrollierbaren Stressfaktoren belasten. Gerade für anspruchsvolle, komplexe Aufgaben sind wuselige Gruppenbüros ohne Rückzugsmöglichkeiten ungeeignet, wie Studien zeigen. „Sie fördern eher einfache Routineaufgaben mit hohem Wettbewerbscharakter, weil man sehen kann, wie viel die Kollegen schaffen. Für schwierige Aufgaben sind dagegen Einzelbüros besser geeignet“, sagt Architekturpsychologe Peter Richter. Wird also ein Mitarbeiter mit einer komplexen Tüftelaufgabe betraut, sollte er in einen Einzelraum ausweichen können.

Nun kann (oder will) gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht jedes Unternehmen in neue Bürolandschaften investieren. Die Umgestaltung nach dem Net-’n‘-Nest-Prinzip kostet beispielsweise inklusive Mobiliar je nach baulichem Zustand des Gebäudes zwischen 400 und 750 Euro je Quadratmeter. Doch Psychologen sind der Meinung, dass bereits kleine Änderungen in der Innenarchitektur das Wohlbefinden verbessern.

„Ein gutes Raumklima, ausreichend Licht und ein schöner Ausblick etwa auf Grünflächen oder Zimmerpflanzen tragen bereits zum Wohlbefinden bei“, rät beispielsweise Architekturpsychologin Rotraut Walden. „Dazu gehören auch ergonomische Arbeitsplätze, von denen aus alle wichtigen Arbeitsmittel gut zu erreichen sind, pflegeleichte, weiche Materialien und Möbeloberflächen, und auch ganz simple Dinge wie nicht quietschende Schubladen und Türen oder lärmschluckende Akustikdecken helfen.“

Obwohl nach den Schätzungen von Peter Richter bislang nur etwa fünf Prozent der deutschen Unternehmen im Zuge der Einrichtung Architekturpsychologen hinzuziehen, könnte sich das Idealbüro der Zukunft letztlich als Trumpf im Wettbewerb um die talentiertesten Mitarbeiter erweisen. Ein „Büro fürs Bauchgefühl“ bieten zu können ist durchaus ein Pfund, mit dem sich wuchern lässt.

Weitere Informationen zu dem Thema gibt es unter www.office21.de und www.architekturpsychologie.org.

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Veröffentlicht in Arbeitsmanagement.

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