Wenn der Chef schwer erkrankt oder gar stirbt, kann das für ein Unternehmen fatale Folgen haben. Trotzdem gibt es vielerorts keine Nachfolgeplanung für den Ernstfall.
Das Unglück traf die italienische Autodesignschmiede Pininfarina unvorbereitet. Anfang August verunglückte Firmenchef Andrea Pininfarina tödlich. Ein Autounfall, ein 78 Jahre alter Rentner hatte die Vorfahrt missachtet. Andrea Pininfarina, an diesem Tag mit einem Motorroller in Richtung Büro unterwegs, konnte nicht ausweichen, prallte in den Kleinwagen und war sofort tot. Nicht nur für die Familie, auch für das Familienunternehmen war die Nachricht ein Schock. Der 51 Jahre alte Andrea Pininfarina wollte die Firma gerade durch eine schwierige Restrukturierung führen. Ein Stillhalteabkommen mit den Banken war bereits ausgehandelt, eine Kapitalerhöhung geplant. „Wir hatten Pläne für alle möglichen Notfälle vorbereitet, aber nicht für diesen“, ist im Hause Pininfarina zu hören.
Doch das Unternehmen reagierte schnell, gleich am Tag nach der Beerdigung wurden die Weichen für die Zukunft gestellt: Der ein Jahr jüngere Bruder Paolo Pininfarina, bisher der Chef der kleinen Sparte Produktdesign außerhalb der Autobranche, wurde zum neuen Präsidenten bestellt. Die ältere Schwester Lorenza Pininfarina kehrte als Vizepräsidentin ins Unternehmen zurück. Die bisherige Nummer zwei des Unternehmens unterhalb von Andrea Pininfarina wurde Chef des operativen Geschäfts. Er und der Finanzdirektor wurden in den Verwaltungsrat berufen.
Eine schwere Krankheit, ein plötzlicher Todesfall an der Unternehmensspitze – in den vergangenen Wochen waren auffällig oft solche Nachrichten zu lesen. Stets verbunden mit vielen Fragezeichen. Wie leistungsfähig ist ein Vorstandsvorsitzender, der einen Schlaganfall erlitten hat – wie Peugeot-Chef Christian Streiff? Haben Aktionäre das Recht zu wissen, wie es um den Gesundheitszustand des Unternehmenschefs bestellt ist – wie im Fall von Apple-Gründer Steve Jobs? Ist es zu vertreten, dass eine Bank in Zeiten der Finanzkrise verschweigt, dass ihr Vorstandsvorsitzender mit einer schweren Blutvergiftung im Krankenhaus liegt – wie der ehemalige Bear-Stearns-Chef James Cayne? Und sind die Unternehmen überhaupt auf einen möglichen Todesfall in ihren Führungsgremien vorbereitet?
Für die Führungsspitze des französischen Reifenkonzerns Michelin galt stets eine eiserne Regel: immer in unterschiedlichen Flugzeugen fliegen. Die Katastrophe aber geschah auf dem Wasser. Am Morgen des 26. Mai 2006 fuhr der Geschäftsführer und Mitgesellschafter Édouard Michelin in der Bretagne mit einem Boot von dem malerischen Fischerdorf Audierne vor die Île de Sein zum Angeln. Das Gebiet ist für seine Fischbestände berühmt, aber auch für seine gefährlichen Strömungen. Wie das Unglück geschah, ist bis heute nicht geklärt. Édouard Michelin ertrank.
Mit ihm sei vieles in der Firma untergegangen, beklagen Mitarbeiter und Beobachter aus dieser Zeit bis heute, denn das sehr traditionell ausgerichtete Familienunternehmen begann sich unter der Leitung des 1963 geborenen Édouard gerade etwas zu öffnen. Mit seinem Tod übernahm der 1944 geborene Finanzfachmann Michel Rollier den Vorsitz in dem inzwischen wieder dreiköpfigen Vorstand. „Die beiden haben sich die Aufgaben geteilt. Mit dem Tod des einen wurde der andere automatisch alleiniger Chef. Das war so festgelegt. Auch für den Fall, dass beiden etwas zugestoßen wäre, gab es klare Regelungen“, heißt es aus dem Unternehmen. Das Überraschende sei gewesen, dass, als alle unter Schock standen, die Kommunikationsabteilung bis zur Beerdigung quasi die Konzernleitung übernommen habe – und der übrige Vorstand darüber geradezu froh war, berichten Begleiter. Das befürchtete Chaos sei ausgeblieben.
Wolf Kempert, Spezialist für Nachfolgefragen im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater, wundern solche Schilderungen nicht. „Besonders größere Unternehmen bereiten sich auf den Ernstfall vor“, berichtet Kempert, der im Hauptberuf Geschäftsführer der UNU Gesellschaft für Unternehmensnachfolge und Unternehmensführung in Berlin ist. „In der Masse der mittelständischen Unternehmen ist echte Notfallplanung dagegen Fehlanzeige.“ Dies fange schon damit an, dass nur rund die Hälfte der Mittelständler über ein Testament verfüge. Dahinter steht die Scheu, sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen, das diffuse Gefühl, für solche Pläne sei noch viel Zeit. Ein Fehler, wie Kempert findet. „Mittelständler trifft es härter, wenn ein führender Kopf stirbt“, sagt er mit Blick auf die oft langen Verweildauern der Führungskräfte in kleineren Unternehmen. „In Großunternehmen ist Jobrotation normal, das Management wechselt häufig, da stehen immer Stellvertreter parat.“
Drei Dinge sind seiner Meinung nach besonders wichtig, wenn es um die Vorsorge für den Tag X geht. Erstens: eine Notfallakte im Safe, in der etwa alle wichtigen Passwörter und Geheimzahlen notiert sind, Bankvollmachten hinterlegt sind und ein Vertretungsplan bereitliegt. Jedes Jahr sollte überprüft werden, ob alles noch aktuell ist. Und alle wichtigen Führungskräfte sollten über diese Akte Bescheid wissen. Eine gute Gelegenheit, die Vertretungsroutinen zu üben, sei der Urlaub des Firmenchefs. Statt vom Pool via Handy weiter die Geschäfte zu führen, rät Kempert Unternehmern: Blackberry aus und das Ruder zumindest drei Wochen einem anderen überlassen. Das trainiere.
Zweiter wichtiger Punkt: der Gesellschaftervertrag. Er sollte eine Regelung für den Todesfall vorsehen. Wer übernimmt die Unternehmensanteile des Verstorbenen? „In den meisten Gesellschafterverträgen steht dazu nichts“, kritisiert Unternehmensberater Kempert, der Unternehmern in dieser Frage empfiehlt, sich von einem Rechtsanwalt beraten zu lassen. Was auch für Punkt drei gilt: das Testament. Jeder Unternehmer sollte über eines verfügen, mahnt Kempert, und es sollte im Einklang mit dem Gesellschaftervertrag stehen. Kunden und Lieferanten präventiv über die vorgesehenen Nachfolgeplanungen zu informieren, hält er für keine gute Idee – zumindest, solange der Chef noch weit entfernt vom Rentenalter ist. Das wecke nur Misstrauen. Im Fall des Falles aber sollten die wichtigsten Geschäftspartner umgehend über die Vertretungs- oder Nachfolgeregelung informiert werden, damit keine Unsicherheit aufkommt.
Als Christian Streiff Ende Mai dieses Jahres ausfiel, hat Peugeot daraus zunächst ein großes Geheimnis gemacht. Und nur – da sind sich Beobachter im Unternehmen sicher – weil drei Tage später eine Aktionärsversammlung auf der Agenda stand, hat der Konzern überhaupt etwas veröffentlicht. Es handele sich um eine gesundheitliche Unregelmäßigkeit, Herr Streiff sei zur Behandlung im Krankenhaus, hieß es zunächst knapp. Wie sich erst Mitte Juli herausstellte, hatte der Vorstandsvorsitzende des Automobilherstellers einen Schlaganfall.
„Es war für alle ein Schock und eine große Phase der Unsicherheit, weil niemand wusste, was er hat“, sagt ein Mitarbeiter. Niemand habe darüber geredet, auch Vorstand und Aufsichtsrat nicht. „Es ist alles geregelt“, habe es geheißen. Der Betrieb im Konzern ging gleichwohl recht reibungslos weiter. Die Aufgaben des Vorstandsvorsitzenden wurden unter den übrigen Führungsmitgliedern und unter Anleitung der Familie Peugeot verteilt. Mitte Juli wandte sich Streiff in einer Videobotschaft an die Mitarbeiter, am 23. Juli hatte er seinen ersten öffentlichen Auftritt. „Ich muss bestimmte Dinge ändern, mein Leben neu organisieren“, sagte er. Ob auch der Konzern seine Notfallregelungen ändern müsste, dazu hört man nichts. Christian Streiff ist noch immer nicht wieder vollständig an Bord.