Führung des eigenen Ich – Elefant oder Reiter?

Ulrich Grannemann, 2009 – Wer führt uns eigentlich? Was entscheidet darüber, was wir tun und was nicht? Entscheidet das Bewusstsein oder das Unterbewusstsein?

Wer hat die Macht? Bewusstsein oder Unterbewusstsein, Vernunft oder Intuition/Emotion, „Reiter oder Elefant“?
Die Natur hat dem Menschen zusätzlich zur Intuition/Unterbewusstsein ein „neues Gehirnmodul“, die Vernunft, mitgegeben.
Der große und alte Teil, unser Unterbewusstsein, sorgt für das Überleben und unsere Intuition führt uns sicher durch das Leben.
Der neue Teil, die Vernunft, lässt uns Dinge betrachten und vor allem kommunizieren, die nicht unmittelbar sichtbar sind.
 
Elefant = Unterbewusstsein, Reiter = Vernunft
Jonathan Haidt (Die Glückhypothese, VAK-Verlag) wählt das Bild vom Elefanten für den alten und den des Reiters für den neuen Teil unseres Gehirn. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass nicht der Reiter die Intelligenz des Menschen aus macht, sondern vielmehr das Zusammenspiel von Reiter und Elefant macht uns so viel intelligenter.
 
 
Der Reiter aus Sicht des Elefanten
Aus der Sicht des Elefanten ist der Reiter (die Vernunft) ein wunderbares neues Organ, das
1. den Blick weit in die abstrakte, nicht sinnliche Welt erweitert und
2. durch die Sprache die Verbindung mit anderen Elefanten herstellt.
So kann der Affe zwar in eine Richtung deuten und ein Gefühl zeigen, um z.B. auf eine Gefahr hinzuweisen. Aber nur der Mensch kann einem anderen Menschen kommunizieren: „Wenn wir den Marktanteil nicht erhöhen, werden wir den Forecast nicht erreichen“.
 Der Reiter erlöst den Elefanten aus dem Gefängnis des Hier und Jetzt. Die Vernunft hat aber nur dann wirklich etwas zu sagen, wenn der Elefant nichts Besseres oder Wichtigeres vorhat. Am Ende entscheidet immer der Elefant, denn nur er hat die Verbindungen mit den Angenehm-/Unangenehm-Bewertungszentren, deren Arbeit uns als Gefühle zurückgemeldet werden. Was der Reiter tun kann, ist, dass er Entscheidungsvorlagen macht, auf die der Elefant alleine nie gekommen wäre (Werde ich auch im Alter versorgt sein? Was ist, wenn ich nicht anrufe? Bewegung ist gut für Gesundheit.).
 
„Aufschieberitis“ und Verdrängung: Elefanten-Aversion schlägt Reiter-Appetenz
In der Regel funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Reiter und Elefant ganz hervorragend. In manchen Bereichen funktioniert sie allerdings gar nicht. Da spielt uns die Unlustaversion (vermeide alles, was Dir gefährlich werden könnte; Schutz) und die Lustappetenz (suche, was Dir gut tut, Nahrung, Sicherheit) einen Streich.
Beispiel: Kläre mit einem Mitarbeiter oder einem Kunden einen Konflikt. Das tut der Beziehung und der Zukunft gut. Man nimmt sich den Anruf vor und trägt ihn vielleicht sogar in seinen Kalender ein (Appetenz). Je näher der Termin jedoch kommt, desto mehr nehmen die inneren Bilder und Szenen zu, in denen etwas schief gehen könnte. Was tut der Elefant? Er schützt uns natürlich und dreht ab. Manchmal sogar mehrmals hintereinander, wenn es nötig sein sollte. Er weicht aus und geht zu Tätigkeiten, die mehr Lust oder weniger Unlust versprechen. Wir lenken uns ab, sind offen für andere Auslöser, wie die nächste Mail, der Kollege der anruft oder vorbeikommt.
In diesem Moment kommt noch eine andere Funktion hinzu. Der Elefant gibt dem Reiter den Auftrag, das Verhalten zu erklären, zu rationalisieren. So wird der Reiter zum Sprecher des Elefanten. Hirnphysiologen nennen diese Funktion die „Konfabulation“ 2) oder das „Interpretationsmodul“. Dieses Erklärungsverhalten ist ein weiterer Grund, warum uns der Reiter so viel mächtiger vorkommt, als er in Wirklichkeit ist.
Kontrollverlust: Appetenz-Elefant schlägt Aversions-Reiter
Wir wollen weniger Schokolade essen, weniger rauchen, weniger trinken, weniger fettig essen, uns weniger schnell aufregen und „in die Luft“ gehen, weniger kritisch sein. Wir lenken unseren Elefanten an diesen Dingen vorbei. Er scheint zunächst darauf zu reagieren. Doch dann kommt der Elefant zu nah an der Schokolade vorbei, er reißt den Kopf herum und fängt an, sich über die Schokolade her zu machen. Der Reiter ist völlig machtlos. Er zerrt noch an den Zügeln, aber der Elefant ist völlig ungerührt, er ist ausschließlich im Hier und Jetzt. Wenn dann noch positive Verstärker hinzukommen (Essen macht noch hungriger, Trinken noch durstiger,
Kämpfen noch aggressiver), dann ist der Kontrollverlust perfekt.
Manche schwören, dass der Elefant uns, ohne den Reiter davon zu unterrichten, schon in die Nähe der Schokolade gebracht hat. Er inszeniert uns dorthin, wo die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass dort entsprechende Trieb-Auslöser zu finden sind.
 
 
Wer steuert uns also? Elefant oder Reiter?
Diese Frage geht ungeklärt aus. Sie ist aber auch gar nicht wichtig. Die eigentlich wichtige Frage lautet: Was kann der Reiter tun, um die Kommunikation und die Zusammenarbeit zwischen Reiter und Elefant zu verbessern? Denn in dieser Kommunikation scheint der Erfolg oder die Kunst der Lebensführung zu liegen. Was wir also trainieren können/sollten, ist, die Kunst den Elefanten zu beeinflussen, mit ihm noch besser zu kooperieren, die Zusammenarbeit noch besser zu machen.
Es ist der Reiter, der diese Zeilen liest:
Gott erschuf die Engel aus dem Geist und ohne Sinnlichkeit, die Tiere aus der Sinnlichkeit und ohne Geist oder Vernunft und die Menschheit schuf er aus Vernunft und Sinnlichkeit. Wenn die Vernunft eines Menschen stärker ist als seine Sinnlichkeit, dann ist er besser als die Engel, aber wenn seine Sinnlichkeit stärker ist als seine Vernunft, dann ist er schlimmer als die Tiere. (Mohammed)
Kann ich den Elefanten beeinflussen?
Der Reiter liest, er hat also gerade die Kontrolle! Nicht ganz. Sie atmen gerade, sie verdauen gerade, Ihre Haare wachsen gerade. Der Elefant tut vieles automatisch für uns. Sollten wir ihm diese Aufgaben wegnehmen? Wohl kaum. Aber vielleicht eine gute Gelegenheit Ihrem Elefanten zu danken: Der Elefant sorgt sicher für uns. Er sorgt für Hunger und Durst zum Überleben, Lust auf Sex für die Fortpflanzung, Angst für die Vermeidung von Gefahren, Wut und Ärger um Revier und Rechte zu verteidigen. Der Elefant führt uns sicher, mit hoher erlernter Weisheit durch unser Leben.
Sie können weiter lesen, solange nicht eine andere Instanz des Elefanten Ihnen etwas anderes sagt. Wenn jedoch Ihr Bauch zum Beispiel meldet: Zu wenig Zucker im Blutkreislauf, zu wenig Energie. Wie aus dem Nichts würden Sie aufstehen, zur Küche gehen oder in Ihre Tasche oder Schublade schauen. (Wenn diese Worte jetzt aktuell Ihre Bauchnachricht verstärkt haben sollte, dann essen Sie etwas, aber kommen Sie dann wieder zum Text zurück, denn es gibt noch viel zu entdecken über Reiter und Elefant.)
 
 
 
Übung Nummer 1: Beeinflussung über den Körper.
Körper und Psyche ist keine Einbahnstrasse, auch wenn sie in einer Richtung häufiger befahren wird als in die andere. Über den Reiter können wir Aktionen in Gang setzen, die über den Körperzustand die Stimmung des Elefanten bestimmen. Der Elefant bestimmt nun wiederum welche Denk- und Suchaufträge er an den Reiter gibt. Versuchen Sie mal depressive Gedanken zu entwickeln, während Sie auf einem Trampolin springen und hüpfen.   
Übung 1:
Achten Sie auf Ihre derzeitige Stimmung. Viele beschreiben Ihre Stimmung mit Worten wie hell/dunkel oder klar/trüb.
Nun kontrahieren Sie einfach Ihre Lachmuskeln ohne dabei wirklich zu Lachen und achten Sie auf die leichte Veränderungen Ihrer Stimmung.
Und achten Sie darauf, welche Gedanken Ihnen kommen. Welche liegen Ihnen näher?
 
  
Übung Nummer 2: Zu kurz gekommen!
Da aus Gründen der Evolution Gefahren wichtiger bewertet werden als verpasste, positive Gelegenheiten, reagieren wir noch stärker und schneller auf Negatives.
Einer der wichtigsten Triebe ist der Rang innerhalb einer Gruppe. Daran ist der Zugang zu Nahrung und Partner gebunden. Die Rechtezu verteidigen, die am Rang hängen, ist eine wichtige Aufgabe von Elefant und Reiter. Wir scheinen dabei den Drang und die Grundhypothese in uns zu tragen, dass wir ständig zu kurz kommen. Wir werden ständig ungerecht behandelt. Wenn Ehefrau und Ehemann jeweils ihren Prozentsatz der Hausarbeit einschätzen, kommen sie insgesamt auf über 120 Prozent. Auf 139 Prozent kommen Studenten einer Arbeitsgruppe, wenn ihre Schätzanteile an der Leistung summiert werden (Epley und Caruso 2004).
Übung 2 :
Stellen Sie sich Ihren Kollegenkreis vor. Sehen Sie sie vor Ihrem inneren Auge? O.K.?
Jetzt machen Sie sich klar, dass Ihre Arbeit nie genug gewürdigt wird! Sie kommen einfach zu kurz! Und ist es nicht unglaublich, was sich dagegen manch andere herausnehmen?!
Den meisten fallen in sekundenschnelle Gesichter und Begebenheiten ein. Die Augen verengen sich, das Gefühl von gerechter Wut und Ärger kommt hoch.
Danken Sie Reiter und Elefant für die gute Zusammenarbeit! Und machen Sie sich klar, dass das nichts mit der Realität da draußen zu tun hat, sondern mit der Stimmung, die Sie gerade selbst gesteuert haben.
Der Elefant ist auch schnell dabei, wenn es um die Verteidigung der Rechte einer Gruppe nach außen geht. Es ist überlebenswichtig das eigene Revier zu verteidigen. Interessant ist nur, wo wir die Reviergrenze sehen (Machen Sie sich klar, wer Ihnen alles was wegnehmen will: Der Nachbar, die Ausländer, die Amerikaner…). Wir können uns so prima ins Grübeln bringen. Uns fallen immer mehr Beweise und Gegebenheit für die Ich-Bin-Zu-Kurz-Gekommen-These ein, die nichts mit der Realität zu tun hat, sondern mit der Interpretation, die Sie eben wunderbar mit Ihrem Reiter hergestellt haben. Manchmal macht der Elefant in Zusammenarbeit mit dem Reiter Sachen, die einfach keinen Sinn ergeben. Wenn Ihr Grübeln zu nichts führt und Sie einfach keine Lust mehr darauf haben, machen Sie Übung 3.
Übung Nummer 3: Positive Steuerung
Sie haben gerade festgestellt, dass Sie das Negative gut steuern können. Aber: Sie können das auch im Positiven! Was die Übungen zeigen sollen ist, dass wir nicht Fahnen im Wind, nicht Nussschalen in der Strömung sind. Der Reiter kann die Stimmung verändern.
Übung 3:
Stellen Sie sich Ihren Kollegenkreis vor. Sehen Sie sie vor Ihrem inneren Auge? O.K.?
Machen Sie sich jetzt klar, wie viel Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen verdanken! Wie viel Schönes Sie schon erlebt oder geschaffen haben.
Auch hier fallen den meisten in sekundenschnelle Gesichter und Begebenheiten ein. Die Muskeln können sich entspannen. Jetzt können Sie sich fragen: „ Ist alles ausreichend gerecht verteilt?
Diese Übungen werden nicht verhindern, dass der Elefant beim Angriff auf Ihren Rang, Ihr Revier, Ihren Hormon- und Blutzuckerspiegel, den Reiter ohnmächtig macht. Aber zwischen diesen „Elefanten-Alleingängen“ kann man etwas verändern und sich das Leben einfacher und glücklicher gestalten.
1) Appetenz
Appetenz bezeichnet Verlangen, Lust, Sehnsucht, Drang, Streben, Neigung und Begierde. Wir fühlen uns von einer bestimmten Person, Situation oder einem Objekt angezogen.
Appetenz beinhaltet immer, dass am Ende etwas Positives steht –  wir werden belohnt. Dies führt dann dazu, dass wir die Person oder Situation immer wieder aufsuchen. Das Gegenteil von Appetenz ist Aversion.
Unter einem Appetenz-Appetenz-Konflikt versteht man einen Konflikt, bei dem wir die Wahl zwischen zwei angenehmen Alternativen haben. Z.B. wenn wir uns zwischen zwei gleich attraktiven Menschen entscheiden sollen.
2) Konfabulation:
Hier werden Fakten oder Antworten erfunden, um nachträglich Verhaltensweisen erklären zu können. Wesentlich ist, dass hier keine bewusste Lüge geschieht, da diese Erklärungen für den Betroffenen eine potentielle Wahrheit darstellen.
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Veröffentlicht in Führungsrolle.

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