Michael Schmidt – Wer etwas erreichen will, braucht dafür Macht. Trotzdem erscheint der bewusste Gebrauch von Macht heutzutage oft als unanständig und wird tabuisiert. Lieber spricht man von Einflussnahme. Macht wird häufig mit Machtmissbrauch assoziiert, und der ist in einer modernen, aufgeklärten Gesellschaft und in Zeiten kooperativen Führungsstils erst recht tabu.
Dabei übt jeder bewusst und unbewusst, gezielt oder unbeabsichtigt, Macht aus, sobald er sich in sozialen Kontakt begibt. Macht bezeichnet nämlich die Fähigkeit von Individuen und Gruppen, auf das Verhalten und Denken sozialer Gruppen oder Personen einzuwirken. Das zeigt schon die Herkunft des Wortes: Im Althochdeutschen, Altslawischen und Gotischen bedeutete das Wort Macht soviel wie Können, Fähigkeit, Vermögen. Vergleichbar stammt das lateinische Substantiv für „Macht“, potentia, von dem Verb possum, posse, potui ab, welches heute mit „können“ übersetzt wird. Das spanische Wort „poder“ und das französische Wort „pouvoir“ sind in diesem Sinne auch zweideutig – sie heißen sowohl „Macht“ als auch „Können“.
Wer etwas kann, hat also Macht, unabhängig davon, wie er sie benutzt. Denn Macht kann zwar in Form von Zwang ausgeübt werden, muss sie aber nicht. Führungskräfte bekommen sie sogar offiziell verliehen, um ihre Aufgaben erledigen zu können. Mit ihrer Position verbunden sind formale Weisungsbefugnisse und Entscheidungskompetenzen, also formelle Macht.
- Die Expertenmacht; sie basiert auf der Fachkompetenz und Erfahrung der jeweiligen Person. Sie wird auch Fachautorität genannt.
- Die Informationsmacht; sie gründet sich auf den Zugang zu wichtigen Informationen und auf der Möglichkeit, diese Informationen Anderen zur Verfügung zu stellen oder auch nicht. Daher sagt der Volksmund: Wissen ist Macht.
- Die Macht der Persönlichkeit; d. h. dieeigene Ausstrahlung, das Charisma und mein Verhalten gegenüber Anderen. Sie wird auch persönliche Autorität genannt.
- Die Positionsmacht, auchAmtsautorität genannt (oben bereits erläutert).
- Die Belohnungsmacht. Sie ergibt sich aus den eigenen Möglichkeiten, Anderen Vorteile zu verschaffen wie Beförderungen, höheres Einkommen, oder sonstige Vergünstigungen (z. B. Spielräume, Spaß, größere Budgets, usw.)
- Die Beziehungsmacht, oftauch Vitamin B genannt. Sie resultiert aus den Verbindungen (dem „Netzwerk“) der Beziehungsmächtigen mit einflussreichen Personen innerhalb und außerhalb der Organisation.
- Die Sanktionsmacht; sie ergibt sich aus der Möglichkeit, Druck auszuüben und negative Konsequenzen herbei zu führen. Sie wird am meisten gefürchtet und oft mit Machtmissbrauch assoziiert.
Zeichnen Sie ein Balkendiagramm mit ihren Quellen der Macht (Beispiel siehe unten): Wie hoch schätzen Sie auf einer Skala von 0 – 10 Ihre jeweilige persönliche Machtquelle ein? Lassen Sie sich dabei von dem Gedanken leiten: Wie viel Macht hätte ich maximal zur Verfügung, wenn ich wirklich wollte?
Übung 2:
Zeichnen Sie das gleiche Balkendiagramm an Hand der Frage: Wie viel Macht übe ich tatsächlich (hier und heute) aus? (Beispiel siehe unten)
Übung 3:
Wenn ich die Bilder aus Übung 1 und 2 vergleiche:
· Was fällt mir auf?
· Wo habe ich Macht, die ich nicht nutze (auch für „gute“ Ziele und Zwecke)?
· Was hindert mich daran, meine Macht im Sinne der Ziele und gemäß meinen Werten einzusetzen?
Wenn Sie zu dem Ergebnis kommen, dass Sie Ihre Macht nicht voll umfänglich einsetzen, dann kann das mehrere Gründe haben:
- Sie haben gelernt, dass sich das „nicht gehört“.
- Sie möchten nicht die volle Verantwortung für die Folgen übernehmen.
- Sie haben Angst vor damit verbundenen Konflikten.
- Sie befürchten, dann nicht mehr zum Team zu gehören oder nicht mehr so gemocht zu werden wie vorher.
- Ihr Gewissen (sprich Ihre Werte) hält sie davon ab.
- Sie haben Angst vor Sanktionen, weil Andere (vielleicht sogar Ihr Vorgesetzter) dadurch bloßgestellt würden oder Sie als Bedrohung erleben würden.
- Sie haben Angst vor der eigenen Courage.
Ein Teil dieser Gründe ist möglicherweise in der aktuellen Situation berechtigt. Vielfach stehen wir uns jedoch durch innere Konflikte und Hemmungen selbst im Weg beim Einsatz unserer Macht zur Erreichung von Zielen. Daher wird Macht oft verdeckt (z. B. in Form von psychologischen Spielen; Drama-Dreieck) oder gar unbewusst eingesetzt und verbreitet dann z. T. fatale Wirkung.
Beispiele:
- Ich traue mich nicht, meine Bedenken im Team zu äußern. Dadurch wird eine falsche Entscheidung getroffen.
- Ich greife als Führungskraft nicht ein, wenn ein Konflikt zwischen 2 Mitarbeitern eskaliert. Dadurch entsteht ein schlechtes Teamklima; Entscheidungen werden verzögert, die Zusammenarbeit funktioniert nicht mehr richtig und ich komme in Zeitverzug.
- Ich nutze nicht alle meine Beziehungen zur Informationsbeschaffung. Dadurch gehen wichtige Infos verloren.
- Ich möchte weiterhin zum Team gehören und verhalte mich auch als Vorgesetzter kumpelhaft. Das bringt mich in Schwierigkeiten, wenn ich klares Feedback zu schlechten Leistungen geben oder gar harte Entscheidungen treffen muss.
- Ich möchte einen Kollegen loswerden, traue mich aber nicht, das offen anzugehen und intrigiere daher gegen ihn.
Da es im Zusammenleben und –arbeiten immer auch um Macht geht ist es notwendig, sich seiner eigenen Machtquellen bewusst zu werden und sie verantwortungsvoll zu nutzen, im Sinne der bestmöglichen Zielerreichung. Das Gegenteil von Macht ist nämlich nicht Ohnmacht, sondern Abhängigkeit (von der Macht Anderer).