Ulrich Grannemann – Ja, wir sind Führungskräfte, aber sind wir auch gute Führungskräfte? Eine Frage, die schwer zu beantworten ist.
Sicher ist: Führungskräfte sind wir alle. Das müssen wir nicht beweisen. Unsere Aufträge machen uns dazu. Nicht sicher ist, ob wir gute oder schlechte Führungskräfte sind. Diese Frage kann man selbst nicht wirklich beantworten. Schnell halten wir uns für gute und unsere Kollegen für schlechte Führungskräfte. Vielleicht ist die Frage daher unsinnig oder zumindest ungeeignet, mich besser werden zu lassen. Die Antwort hängt völlig von der Perspektive ab, von dem „wer“ urteilt, und dem Blickwinkel, das heißt, welches Kriterium betrachte ich.
Sicher ist: alle Führungskräfte wollen das Beste und sich mit den besten Absichten für das Unternehmen einsetzen. Nicht sicher ist, ob trotz der guten Absichten immer auch die guten Wirkungen erzielt werden. Was zudem nicht sicher ist, ob wir in unseren angefüllten Arbeitstagen immer auf die richtigen Dinge schauen. Nicht sicher ist die Antwort auf die Frage, ob unser Erfolg mehr in dem liegt, ob wir Dinge richtig tun oder eher in dem liegt, ob wir die richtigen Dinge tun.
Sicher ist: unser Führungsleben besteht aus sehr, sehr vielen Situationen, die sich aus verschiedenen Kombinationen von Menschen und Aufgaben bilden. Jeder Mitarbeiter ist anders und mit manchen Mitarbeitern kommen wir besser klar als mit anderen. Jede Aufgabe, Funktion ist anders. Und beherrschen wir alle Aufgaben und Funktionen? Wohl kaum, wenn wir ehrlich sind.
Wir erkennen sofort die Situationen, die unsere Kollegen nicht beherrschen oder erst gar nicht wahrnehmen. Die eigenen, blinden Flecken erkennen wiederum unsere „Nachbarn“.
Unter dem Druck, immer schnellere und bessere Entscheidungen zu treffen zu müssen und diese immer schneller und besser umzusetzen, sind immer weitere Organisationsformen entstanden. Dabei hat eine neue Form nicht eine alte abgelöst, sondern jetzt bestehen neben den Linienorganisationen weitere Formen, wie die Projekt-, Prozess- und Matrixorganisationen parallel nebeneinander. Organisationen haben nun mal kein Verfallsdatum. Damit nimmt die Bandbreite an Rollen, Funktionen, die Verschiedenartigkeit der Aufgaben, die Zahl und Verzahnung der Schnittstellen und damit die Meeting- und Besprechungsformen, die zu den Entscheidungen und Umsetzungen führen sollen, stetig zu.
Immer mehr unterschiedliche Führungssituationen sind zu beherrschen
Die Zunahme dieser Bandbreite und die Veränderungsgeschwindigkeit sorgen so für eine Zunahme der unterschiedlichen Führungssituationen, die wir beherrschen müssen. Und dabei bin ich sicher, dass das Führen aus dem Bauch aus einer Kombination aus Intuition, Erfahrungswissen und Learning by Doing immer weniger ausreicht.
So stellen sich für uns einige Fragen: Was kann uns helfen, die neu entstehenden Führungsaufgaben und –funktionen zu beherrschen? Welchen Werkzeugen helfen mir, zu erkennen, was ich nicht tue? Gibt es so etwas wie Frühwarnsysteme, die Hinweise geben, was ich mehr tun muss? Was kann mir helfen, nicht gesehene Potenziale zu erkennen und in Bewegung zu setzen? Welche neuen Funktionen und Aufgaben kommen auf uns Führungskräfte zu?
Der eigentliche Wettbewerb liegt darin, welches Unternehmen es schafft, in der Kombination von Zeit- und Mitarbeitereinsatz die besten Entscheidungen hervorzubringen. Und unsere Aufgabe ist es daher nicht, die beste Idee zu haben (auch wenn sich unsere fachliche Eitelkeit danach sehnen mag), sondern dafür zu sorgen, dass die beste Idee nach oben kommt.
Der wirkliche Wert eines Unternehmens liegt letztendlich in dem unsichtbaren Band des Vertrauens, das die Menschen eines Unternehmens verbindet. Und das liegt nicht darin, dass wir alles richtig machen, sondern, dass sich unsere Mitarbeiter darauf verlassen können, dass wir, auch wenn wir Fehler machen, am Ende den richtigen Weg finden.