Menschenkenntnis (zu) leicht gemacht – Teil 1

Michael Schmidt – Jeden Tag beobachten wir das Verhalten anderer Menschen, um dadurch Informationen über sie zu erhalten. Dies erfolgt vielfach unbewusst und unkontrolliert. Oft bilden sich daraus nachhaltige Vor-Urteile (sowohl positive als auch negative), die wir zur weiteren Beurteilung und Prognose des Verhaltens der Anderen nutzen. Dabei liegen wir oft ganz richtig, aber manchmal auch grottenfalsch. 

Wenn wir jedoch bewusst wahrnehmen, wie sich andere verhalten, daraus die richtigen Schlüsse ziehen und uns durch Feedback der anderen bzw. durch weitere Beobachtung vergewissern, dass unsere Einschätzung stimmt, können wir unsere zwischenmenschliche Interaktion und die Mitarbeiterführung deutlich effektiver gestalten und bessere Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen. Das Modell der Verhaltensstile aus der Verhaltensforschung ist dafür hilfreich.
 

Drei Aspekte menschlichen Verhaltens sind dabei besonders wichtig, um Informationen über andere zu erhalten:
 
A.    Körpersprache
Über Gestik, Mimik und Körperhaltung drücken wir unsere Gefühle, inneren Haltungen, Gedanken und Meinungen aus.
 
B.    Nutzung des Raumes
Über die Art und Weise, wie wir den Raum um uns herum einnehmen oder uns zurückhalten, drücken wir unsere Bedürfnisse bezüglich Nähe und Distanz sowie in Bezug auf den eigenen Freiraum aus.
 
C.    Sprache und Stimme
Die Wahl der Worte und der Ton der Stimme können Hinweise auf das Ausmaß unserer Gefühlsbetonung und unserer Dominanz im Umgang mit anderen geben.
 
 
Grundannahmen:
 

1. Menschen verhalten sich aus Gewohnheit nach häufig wiederkehrenden
Handlungsmustern. Jeder hat seine „Komfortzone“, sprich Gewohnheiten und Vorlieben
 
2. Menschen beurteilen andere in der Regel zu schnell.
    Meist handeln wir subjektiv und schließen von einigen wenigen Wahrnehmungen
    über eine Person sofort auf die gesamte Persönlichkeit. Daher ist es wichtig,  
    möglichst wertneutral das Verhalten von Menschen zu beobachten und
    vorgefasste Meinungen gegebenenfalls zu korrigieren.
 
3. Menschen halten ihr Verhalten meist für passend und angebracht. Daher gibt
    es im Modell der Verhaltensstile kein gutes oder schlechtes Verhalten bzw.
    richtige oder falsche „Wohlfühlzonen“, nur starke und schwache
    Ausprägungen von Verhalten, das besser oder schlechter zur Situation
    passt.
 

Das Modell geht davon aus, dass Verhalten an drei Merkmalen zu beobachten ist:
(1)   An der Dominanz, also an dem Ausmaß des Bestrebens, Situationen und  Menschen zu kontrollieren, zu beherrschen und sich zu behaupten.
(2)   Die Offenheit der Gefühlsäußerung, also inwieweit wir zeigen, wie wir fühlen oder versuchen, diese Gefühlsäußerung zu kontrollieren und für uns zu behalten.
(3)   An unserer Flexibilität im Umgang mit Dominanz und Offenheit in verschiedenen
Situationen.

 
So können wir an Hand der Kriterien „Dominanz“ und „Offenheit der Gefühlsäußerung“ den Kommunikationsstil unserer Interaktionspartner beschreiben und bestimmen.
 
Dominanz wird definiert als das Bestreben einer Person, auf Personen und Situationen Einfluss zu nehmen und sich durchzusetzen. Dominante Personen nehmen sich Raum, treffen Aussagen, statt Fragen zu stellen und versuchen die Führung zu übernehmen. Ihre Grundgeschwindigkeit ist schnell. Weniger dominante Personen halten sich eher zurück, stellen Fragen und lassen sich eher führen. Ihre Grundgeschwindigkeit ist langsam.
 
Grafisch wird dieses Kriterium auf der waagrechten Achse eines Vierecks abgebildet:
 
 
Die Skala ist in vier Abschnitte eingeteilt. Jeder Teil repräsentiert ca. 25% der in einer großen Menschenmenge vorhandenen Ausprägungen.
 
Das Verhalten der Abschnitte A und B lässt sich wie folgt beschreiben:
·         hält sich zurück, stellt Fragen, holt Informationen und Meinungen ein;
·         vorsichtig, drängt nicht, nimmt Signale von anderen auf;
·         ruhig, langsam, bedächtig, wägt Vor- und Nachteile ab, geduldig, sucht nach der „Wahrheit“.
 
Das Verhalten der Abschnitte C und D läst sich wie folgt beschreiben:
 ·         Selbstsicher, geltungsbedürftig, raumgreifend; nimmt Einfluss auf andere, her-
      ausfordernd/konfrontierend, ungeduldig, entscheidungsfreudig;
·         konkurrierend, ehrgeizig, ergreift die Initiative; schnell;
·         aktiv, will Dinge umsetzen, risikobereit, lebendig.
 
Im Abschnitt B ist ein Verhalten stärker ausgeprägt als im Abschnitt A, wobei die Übergänge fließend sind. Gleiches gilt für die Abschnitte C und D.
 
Die senkrechte Skala „Gefühlsäußerung“ wird ebenfalls in vier Teile eingeteilt:
                                 
 
 
 
Das Verhalten der Abschnitte 1 und 2 lässt sich wie folgt beschreiben:
·         verschlossen/reserviert, sachlich;
·         wenig Kommunikation und Ausdruck, gelegentlich maskenhaft;
·         wenig Dialog, abgegrenzt, individuell, selbständig.
 
Das Verhalten der Abschnitte 3 und 4 lässt sich wie folgt beschreiben:
·         ausdrucksstark, gefühlsbetont,
·         vielseitig in persönlichen Beziehungen, umgänglich, liebenswürdig, offen;
·         team-orientiert, personenbezogen.
 
Aus der Kombination der beiden Achsen und der Zuordnung von Verhalten zu den einzelnen Abschnitten ergeben sich vier grundsätzliche Verhaltensstile mit jeweils vier Unterstilen. Die Zuordnung zu den Abschnitten und damit zu den Stilen erfolgt ausschließlich aufgrund des beobachtbaren Verhaltens. Daraus ergibt sich folgende Übersicht über die Verhaltensstile:
 
 
                                               Die vier Grundstile
 
  
 
 
 
 
Übung Nr. 1:
Schätzen Sie Ihr eigenes, typisches alltägliches Verhalten an Hand der beiden Skalen Dominanz (A-D) und Gefühlsäußerung (1-4) ein (z. B. A3 oder C2 oder B4) ein und bestimmen Sie so Ihre Komfortzone. Das ist der Verhaltensstil, zu dem Sie in den meisten Fällen automatisch tendieren (insbesondere unter Stress und im Kon-flikt).
 
Übung Nr. 2:
Schätzen Sie Ihre eigene Flexibilität hinsichtlich Ihres Verhaltensstils ein: Wie schwer oder leicht fällt es Ihnen, auf Menschen mit anderen Verhaltensstilen einzugehen? Wie sehr verharren Sie in Ihrer Komfortzone und erwarten, dass „die Anderen“ sich auf Sie zu bewegen?
 
Übung Nr. 3:
Denken Sie an eine Person, mit der Sie aktuell Schwierigkeiten haben. Welchen Verhaltensstil zeigt diese Person? Wie passt er zu Ihrem? Wie flexibel ist diese Person, und wie flexibel sind Sie (siehe Übung Nr. 2)? Eine Ursache für die aktuellen Probleme könnte die Unterschiedlichkeit der Verhaltensstile, gepaart mit mangelnder Flexibilität (evtl. Sturheit oder Rabattmarken) der Beteiligten sein.
 
Wie Sie die Stile noch besser erkennen und zuordnen können, beschreibe ich im Teil 2.

 

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Veröffentlicht in Arbeitsmanagement.

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