(aus: Satir, V. (1982): Selbstwert und Kommunikation)
„In all den alltäglichen Erfahrungen meines beruflichen und privaten Lebens gelangte ich zu der Überzeugung, dass der entscheidende Faktor für das, was sich in einem Menschen abspielt, die Vorstellung von dem eigenen Wert ist, die jeder mit sich herumträgt – also sein „Selbstwert“ oder seine „Selbstachtung“.
Integrität, Ehrlichkeit, Verantwortlichkeit, Leidenschaft, Liebe – alles strömt frei aus dem Menschen, dessen „Selbstwerttopf“ voll ist. Er weiß, dass er etwas bedeutet und dass die Welt ein kleines Stückchen reicher ist, weil er da ist. Er glaubt an seine eigenen Fähigkeiten. Er ist fähig, andere um Hilfe zu bitten, aber er glaubt an seine eigene Entscheidungsfähigkeit und an die Kräfte in sich selbst. Weil er sich selber wertschätzt, kann er auch den Wert seiner Mitmenschen wahrnehmen und achten. Er strahlt Vertrauen und Hoffnung aus. Er hat seine Gefühle nicht mit Regeln belegt. Er akzeptiert alles an sich selbst als menschlich.
Sehr vitale Menschen sind die meiste Zeit „oben“ (high-pot). Natürlich gibt es für jeden Menschen Zeiten, wo er am liebsten alles hinwerfen möchte, wo er erschöpft und müde ist und wo das Leben ihm zu viele Enttäuschungen zu schnell nacheinander beschert, wo die Probleme plötzlich zu viele sind oder zu groß aussehen, als dass sie bewältigt werden könnten. Aber der vitale Mensch geht mit diesen momentanen Tiefpunkten (low-pot-feelings) so um, wie sie es verdienen, nämlich als Krisen des Augenblicks, aus denen er heil wieder auftauchen kann. Sie werden als etwas betrachtet, was im Augenblick sehr mühsam und unangenehm ist und dessen man sich nicht zu schämen braucht.
Andere Menschen dagegen verbringen die meiste Zeit ihres Lebens im Zustand des fast leeren Selbstwerttopfs (low-pot). Weil sie sich selber wenig wert finden, erwarten sie von ihren Mitmenschen, dass diese sie hintergehen, mit Füßen treten und verachten. Da sie immer das Schlimmste erwarten, beschwören sie es selbst herauf und bekommen es auch häufig. Um sich zu schützen und zu verteidigen, verstecken sie sich hinter einer Wand von Misstrauen und versinken in den grausamen Zustand des Menschseins, der Einsamkeit und Isolation heißt. Auf diese Weise von anderen Menschen entfernt, werden sie unansprechbar und gleichgültig gegen sich selbst und andere. Sie haben es schwer, noch wirklich klar zu sehen, zu hören oder zu denken, und deshalb kommen sie mehr in Gefahr, andere zu übergehen oder zu verletzen.“