Schwätzer bevorzugt

Nikolas Westerhoff – Firmen suchen neue Mitarbeiter gerne per "Assessment Center" aus. Von den diagnostisch wertlosen Endlosgesprächen profitieren vor allem Selbstdarsteller.

Der Auswahl geht ein strapaziöses Verfahren voraus. Werden Bewerber mit Hilfe eines Assessment Centers (AC) beurteilt, müssen sie sich über mehrere Tage interviewen lassen. Sie müssen Gruppendiskussionen führen, wahlweise die Rolle des Chefs oder des Untergebenen spielen. Sie müssen sich in fünf Minuten vorstellen und außerdem Fragebögen ausfüllen. Besonders anstrengend ist die sogenannte Postkorb-Übung. Hier ist es die Aufgabe der Job-Kandidaten, ein Dutzend Arbeitsaufträge abzuarbeiten und danach zu erklären, warum sie Aufgabe X zuerst erledigt haben und nicht Aufgabe Y. Unter Zeitdruck muss entschieden werden, ob als Erstes eine Kundenbeschwerde beantwortet oder ein Team-Meeting besucht werden soll. "Ziel solcher Übungen ist es, die berufliche Wirklichkeit zu simulieren", sagt der Arbeits- und Organisationspsychologe Heinz Schuler von der Universität Hohenheim.

Eigentlich umfasst ein Assessment Center neben Diskussionen und Rollenspielen auch herkömmliche Leistungstests. "Die Auswahlprozedur verknüpft mehrere diagnostische Instrumente miteinander", sagt Schuler. Doch diese Erkenntnis hat sich in Deutschland noch nicht herumgesprochen. Nach Angaben des Psychologen Martin Kersting von der RWTH Aachen setzen nicht einmal 30 Prozent aller Firmen Leistungstests während eines AC ein. Schuler zufolge liegt die Quote sogar nur bei zwei Prozent. Und so sind Assessment Center häufig nichts weiter als mehrtägige Verbalübungen ohne größeren Erkenntnisgewinn – diagnostisch wertlose Endlosgespräche.

Immer beliebter, immer wertloser

Aus Sicht des Testentwicklers Rüdiger Hossiep von der Universität Bochum begünstigt ein AC, bei dem weder Intelligenz noch Leistung gemessen werden, angepasste Schönredner. "Wenn jemand sprachlich nicht so versiert ist, wird es schwer", sagt der Berliner Psychologe Thomas Zachar. Er war selbst Teilnehmer eines AC-Kurses und weiß aus eigener Erfahrung, "dass alles von der Sprache abhängt, weil man die anderen Teilnehmer von seinen Argumenten überzeugen muss".

Die Situation ist paradox: Das Assessment Center wird immer beliebter und zugleich immer wertloser. Während andere Verfahren – wie etwa Intelligenztests – zuverlässiger geworden sind, ist es bei Assessment-Center-Methoden umgekehrt: Das prognostische Gütesiegel verblasst. "Ein Auswahlgespräch mit potentiellen Mitarbeitern ist wesentlich billiger und hat einen vergleichbaren Nutzen", sagt Schuler. Im Klartext: Unternehmen investieren viel Geld in Assessment Center, das sie sich eigentlich sparen könnten.

Deutschlands Firmen stört das nicht. Während in den siebziger Jahren nur 20Prozent der Unternehmen das zeitraubende Auswahlverfahren eingesetzt haben, sind es gegenwärtig 60 Prozent. In seinem Buch "Assessment Center als multiples Verfahren der Potenzialanalyse" stellt Schuler Ergebnisse einer Metaanalyse vor, in die AC-Studien aus den Jahren 1985 bis 2005 eingegangen sind. Das Ergebnis: Die sogenannte prognostische Validität – also die Aussagekraft – fällt.

Um die Validität zu ermitteln, erfassen Psychologen, wie gut die AC-Gewinner im Unternehmen vorankommen und wie lange sie diesem treu bleiben. Hängen die Testergebnisse im AC perfekt mit dem späteren Unternehmenserfolg der Teilnehmer zusammen, liegt der Validitätswert bei eins; korrelieren die AC-Resultate und die spätere Karriereentwicklung überhaupt nicht, dann ist der Wert null. Davon sind AC-Methoden nicht mehr weit entfernt. Gegenwärtig liegen sie bei 0,26. Der Nutzen des Verfahrens ist also gering. Wenden Personalmanager neben Rollenspielen und Diskussionsrunden jedoch auch Leistungstests an, dann steigt die Validität eines AC. "Mit Intelligenztests lässt sich ein Vielfaches an Diagnoseleistung erreichen", sagt Andreas Frintrup, Geschäftsführer der S&F Personalpsychologie Managementberatung GmbH in Stuttgart.

Selbstbewusste werden eher eingestellt als Schüchterne

Diese Erkenntnis ist keinesfalls neu. Bereits vor zehn Jahren haben die Psychologen John Hunter und Frank Schmidt zahlreiche Studien gesichtet und eine Liste der besten Auswahlverfahren aufgestellt. Ganz oben: Intelligenz- und Leistungstests. Doch solch wissenschaftlich bewährte Verfahren sind in Deutschland nicht beliebt. Die Befunde von Hossiep belegen: Deutsche Firmen machen einen Bogen um Auswahlmethoden, die methodisch abgesichert sind.

Die Erfolgsformel für Stellenbewerber lautet hierzulande: Schweigen ist Silber, Reden ist Gold. Wer viel redet, wirkt selbstbewusst. Und Selbstbewusste werden eher eingestellt als Schüchterne. Doch die wenigsten Menschen sind imstande, ohne Punkt und Komma zu reden. Sie sprechen nicht genug über sich selbst, wie Experimente der Psychologin Monika Sieverding von der Universität Heidelberg belegen. Soll sich ein Bewerber fünf Minuten lang vorstellen, hört er im Schnitt nach drei Minuten auf und schweigt. Er verschenkt zwei Minuten Self-Promotion. Bei Personalern kommt das nicht gut an, haben sie doch eine Vorliebe für freundlich lächelnde Bewerber, die sich ihrer Sache sicher sind.

In Deutschland wird zu wenig getestet und zu viel geredet.

Ob ein Bewerber gut rechnet, logisch denkt oder über profundes Fachwissen verfügt, interessiert Personalmanager nicht sonderlich. Psychologen wie Heinz Schuler, Andreas Frintrup oder Rüdiger Hossiep sehen darin ein Problem. Sie sind zu der Erkenntnis gelangt, dass in Deutschland zu wenig getestet und zu viel geredet wird.

"Bei Assessment Centern stehen Bewerber unter dauernder Beobachtung", sagt der Arbeitspsychologe Hans-Uwe Hohner von der Freien Universität Berlin. "Das ist eine starke psychische Belastung." Zumal häufig nicht klar sei, welche Beurteilungskriterien gelten. "Den Bewerbern wird etwa gesagt, dass man ihre Teamfähigkeit testen will. Doch was damit gemeint ist, wissen sie nicht. So etwas erzeugt Stress." Die Bewerber rätseln: Geht es um Kampf oder Kooperation? Um Konformität oder Rebellion? Alles bleibt unbestimmt, weshalb die Kandidaten das tun, was sie für richtig halten. Ein Bewerber greift an, der andere nickt und hört zu. Ahnungslos sind sie beide. Und nicht nur sie.

Auch die Personalmanager wissen nicht so recht, wie sie bewerten sollen. Zwar kreuzen sie bei jedem Kandidaten auf einer Checkliste an, ob er durchsetzungsfähig, leistungsstark, integer, ehrgeizig oder zielstrebig ist. Doch ihre Beurteilerlisten sind ebenso lang wie unnütz, denn in Wirklichkeit bilden sie sich einfach ein Pauschalurteil – Liste hin oder her. Sie sagen sich: Den finde ich gut, den schlecht.

Schlecht begründete Fehlurteile

Kein Personalmanager der Welt kann Dutzende Eigenschaften auseinanderhalten. Das menschliche Gehirn ist dazu nicht fähig, wie der Psychologe Paul Sackett bereits vor vielen Jahren bewiesen hat. Hält jemand einen Bewerber für ausdrucksstark, dann findet er ihn wahrscheinlich auch emotional stabil, zielstrebig und ehrgeizig.

Personalmanager machen sich während eines AC einen Gesamteindruck von einem Menschen, ohne dass sie sagen könnten, worauf er sich gründet. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn ihr Urteil richtig wäre. Doch leider ist das häufig nicht der Fall, weshalb es ihnen nicht gelingt, geeignete Kandidaten von ungeeigneten zu unterscheiden. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Personalmanager nur wenige Verhaltenskategorien auseinanderhalten können und dass sie unsicher sind, wie sie eine Person einordnen sollen. Mal erscheint ihnen Kandidat A selbstbewusst, dann wieder schüchtern; mal erscheint ihnen Kandidat B emotional stabil, dann wieder labil.

Nach Ansicht von Schuler und Frintrup sind Assessment Center zu einer Spielwiese für Laien verkommen. Unternehmen würden die Methode zwar schätzen, sie jedoch mit zu wenig wissenschaftlichem Know-how und zu geringer Professionalität anwenden. Würden Unternehmen Personalmanager besser schulen und mehr Geld für die Entwicklung eines AC ausgeben, stünde das Verfahren besser da. Frintrup zufolge müssen zwischen 50.000 und 150.000 Euro für die Konzeption eines AC investiert werden, ehe Auswahl und Erfolg besser werden.

Der Psychologe Uwe Kanning von der Universität Münster bemängelte kürzlich in einer Studie, dass Personalmanager zwischen den AC-Übungen über Kandidaten sprechen. "Dadurch sind die Bewertungen nicht mehr unabhängig und dominante Beobachter, wie etwa Vorgesetzte, setzen ihre Meinung durch", sagt Kanning. Mit anderen Worten: Das Verfahren ist schlecht, obwohl es gut sein könnte.

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Veröffentlicht in Arbeitsmanagement.

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