Für immer Urlaub

Ursula KalsSonne auf Sardinien. Dicke Luft im Büro. Der Urlaub war groß, die Vorsätze sind es auch: Diesmal wird die Erholung konserviert und das Arbeiten entspannter. Das ist nicht leicht. Aber machbar.

Leo Kaiser hat drei Wochen in einer Finca am Mittelmeer verbracht. Der sportliche 45-Jährige hat die Tage mit seiner Familie aufs angenehmste durchtrödelt und sich ab und zu zum Kite-Surfen aufgeschwungen. Schön war’s. Aber bis auf die leicht gebräunte Haut ist vom Feriengefühl nicht mehr viel übrig. Die Augenringe des Rheinländers sind kurz nach dem Sommerurlaub unübersehbar. Wie gewohnt hetzt der Kölner Produktionsleiter durch seinen straff organisierten Alltag und ärgert sich, gleich wieder in die alte Tretmühle geraten zu sein.

Schonfrist gibt es für die Führungskraft nicht. Nach drei Wochen Abwesenheit borden E-Mail-Eingang und Terminplan über. Zu viel ist in Kaisers Abwesenheit liegengeblieben. "Vielleicht habe ich auch wieder zu wenig delegiert", sagt er selbstkritisch. Das mittelständische Unternehmen kämpft mit der mauen Auftragslage, Kündigungen sind nicht mehr auszuschließen. Verständlich, dass der Diplomkaufmann seinen richtigen Namen nicht im Zusammenhang mit drei Wochen Sardinien-Urlaub in der Zeitung lesen möchte. "Das würde falsche Signale setzen. Einige meiner Mitarbeiter machen diesmal Urlaub auf Balkonien."

Ob große Fernreise oder freie Tage daheim, vielen Berufstätigen gelingt es nicht, ihre Urlaubserholung in den Alltag zu retten. Gestern noch an der amerikanischen Ostküste, heute schon wieder durch München gehetzt, mit Headset am Ohr und Coffee-to-go am Mund.

"Zunächst geht es ja darum, Urlaubsenergie zu bekommen und den Urlaub so zu gestalten, dass er wirklich zur Entspannung führt", sagt Brigitte Scheidt. Die psychologische Psychotherapeutin, die in ihrer Berliner Praxis unter anderem Führungskräfte berät, hält es für entscheidend, "wirklich zu wissen, wodurch man sich erholt. Was genau gibt mir Energie? Wie wird mein Kopf frei? Was baut mich auf?" Ob das nun Wandern auf Teneriffa oder gepflegtes Gar-nichts-Tun auf einer Alpenwiese ist, das kommt auf den Typ an. "Um sich selbst zu unterstützen, den Kopf frei zu bekommen, rate ich Führungskräften zu einem journaling, meint, einmal täglich kurz aufzuschreiben, wie es ihnen geht und was sie so beschäftigt. Was ich so festgehalten habe, da muss ich gedanklich nicht drumherumkreisen."

Der Psychotherapeut Thomas Prünte, der ebenfalls im Berufsverband Deutscher Psychologen organisiert ist und ein Buch über den "Anti-Stress-Vertrag" geschrieben hat, unterscheidet zwei Urlaubstypen. Den klassischen Sachbearbeiter, dessen Arbeit eher monoton und reizarm ist und der im Abenteuerurlaub aufblüht. In einer schönen Landschaft herumzusitzen mache diesen Menschen eher unzufrieden. Anders als denjenigen, der in einem hektischen Job steckt, Stressreizen ausgesetzt ist und parallel viele Projekte dirigieren muss. "Solche Leute sehnen sich eher nach Ruhe", sagt der Psychologe, der sich in seiner Hamburger Praxis unter anderem auf Stressbewältigung spezialisiert hat.

Energisch rät er von faulen Kompromissen ab, die in Partnerschaften den Urlaub überschatten, in denen jeder andere Vorstellungen von Erholung hat. "Das erhöht nur den Konflikt." Klüger sei das Konzept einer befreundeten Familie mit vier Kindern und zwei Berufen. Jeder der Eheleute genehmigt sich eine Woche Auszeit im Jahr. Während es den Mann in die Schwarzwaldhütte zieht, besucht seine Frau in ganz Deutschland Freunde. Hinterher sind alle zufrieden. Allerdings sind sieben Tage Auszeit natürlich knapp.

"Wirklich Entspannung für sich hinzubekommen, das braucht einfach Zeit, insbesondere wenn man ausgepowert ist", spielt Brigitte Scheidt auf die Arzt-Faustregel an. Mediziner sagen, dass Erholung mindestens drei Wochen erfordert. Die erste Urlaubswoche dient dem "Runterkommen", dann folgt eine Art Erschöpfungsphase, in der dritten Woche fängt die Erholung an und die vierte, wünschenswerte Woche nützt der Nachhaltigkeit. So weit die Theorie.

Die Praxis zeigt aber, dass den meisten Arbeitnehmern der Mut oder schlicht die Möglichkeit fehlt, einen Monat Urlaub einzureichen. Sie verfahren eher nach dem Motto, die leeren Batterien in zwei Ferienwochen wieder aufzuladen. In diesem Fall ist es doppelt sinnvoll, die Urlaubserholung zu konservieren und Arbeits- mit regelmäßigen Erholungsphasen zu wechseln. "Wichtig ist zu wissen, wo sind meine Tankstellen? Wann spüre ich meine Energie?", sagt Brigitte Scheidt. Wer das herausgefunden hat, der lebt gesünder.

Manche schätzen es, für sich alleine in der Wohnung zu kramen, andere erholen sich beim Ballspiel mit den Kindern oder genießen La Traviata. Gleich was, entscheidend sei, "dass diese Entspannungszeiten regelmäßig eingebaut werden, sie sind kein Luxus", sagt Brigitte Scheidt. "Der Mensch ist auf den Wechsel von An- und Entspannung gepolt, so wie der Herzrhythmus. Deshalb ist es sinnvoll, sich für seine Tankstellen bewusst Zeit zu nehmen." Thomas Prünte nennt das, "den Wellengang des Lebens zu akzeptieren und zwischen Leistungs- und Erholungsmodus zu wechseln. Es ist klüger, auch im Alltag ein geschicktes Pausenmanagement zu machen." Was Brigitte Scheidt Tankstellen nennt, zitiert er als "stressantagonistische Inseln" und meint Lebensbereiche, die nicht von ungutem Stress infiziert sind, etwa ein Spieleabend mit Freunden, ein Museumsbesuch oder eine entspannende Massage. Den Begriff Work-Life-Balance mag er indes nicht, "als wäre Arbeitszeit nicht Lebenszeit".

Das Wechselspiel von Arbeit und Erholung zu beherrschen klingt einfach, daran halten sich aber wenige. Karriereberaterin und Autorin Scheidt ist immer wieder verwundert, mit welcher Akribie sich manch einer regelmäßig um seine Finanzen kümmert, Sparpläne hinterfragt, Anlagestrategien durchfuchst, sich aber keine nennenswerten Gedanken über sein Leben macht und Fragen stellt. "Wo stehe ich? Was ist mir wichtig? Was brauche ich beruflich und privat? Es lohnt sich, sich Zeit zu nehmen, um den Kompass zu justieren." Einfache Antworten gebe es allerdings nicht.

Minimum sei, sich einen Tag in der Woche wirklich freizuhalten. Im Berufsalltag helfen Zeitmanagementregeln: zu lernen, wichtig von unwichtig zu unterscheiden. Seine Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit abzuschaffen, das Handy auszulassen und E-Mails nur zu festen Zeiten abzufragen. An der goldenen Regel, den Tag mit 60 Prozent festen Terminen zu strukturieren und die 40 Prozent für das üblich Unvorhergesehene freizuhalten, scheitern fast alle. Auch die Zahl derjenigen ist überschaubar, die bewusst auf Karriereschritte verzichten, um nicht abends dem schlummernden Nachwuchs nur noch einen Kuss auf die Stirn hauchen zu können. Die Kunst, zu einer Beförderung und mehr Gehalt nein zu sagen, beherrschen wenige. "Aber es gibt sie, die Führungskräfte, die sich dafür entscheiden, weil sie ihre Kinder aufwachsen sehen möchten", sagt Prünte.

"Was im Alltag immer hilft, sind ganz banale Assoziationsbrücken, um sich innerlich wie äußerlich angenehme Urlaubsgefühle wachzurufen", stärkt er die Heimkehrer. Das kann der Film- und Fotoabend sein, ein Paellaessen, die Salsa-CD, Muscheln am Badewannenrand oder – "noch platter", wie er lacht – ein Bildschirmschoner, der zwischen Aktenordnern für einen schönen Nachklang sorgt. Er selbst erfreut sich am Foto seiner Lieblingsbucht in Zypern. Die Niederschrift des "schönsten Ferienerlebnisses" nervte zwar schon ganze Grundschüler-Generationen, Prünte empfiehlt diesen konstruktiven Tagtraum dennoch.

Manche seiner Klienten halten sich daran. Ein Anwalt zum Beispiel, der in den Ferien begeistert Bodysurfen betreibt und sich von den Wellen des Atlantiks bis zum Strand tragen lässt. Dieses Gefühl ruft sich der Abteilungsleiter in Stressmomenten vor Augen. Innehalten, Pausen machen, Augen schließen, das senkt den Druck. "Und ist individueller als autogenes Training", sagt Prünte. Entspannend sei auch, den nächsten Urlaub zu planen und sich der Vorfreude hinzugeben. Thomas Prünte hat seinen Koffer gepackt, der Musikliebhaber fährt in die Toskana. "Da gönne ich mir einen Gesangsworkshop." Zum Abschied zitiert er den amerikanischen Schriftsteller John Steinbeck. "Die Kunst des Ausruhens ist ein Teil der Kunst des Arbeitens."

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Veröffentlicht in Arbeitsmanagement.

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