Patrick Bernau – Experimente von Ökonomen zeigen: Sogar das Gewissen hat einen Preis. Wer schlau ist, kann daraus für sich Profit schlagen.Israelische Eltern sind auch nicht pünktlicher als deutsche, es ist überall das Gleiche. Eigentlich müssten sie ihre Kinder bis 16 Uhr aus dem Kindergarten abholen. Aber jeden Tag kommen einige Eltern zu spät, und die Kindergärtnerinnen müssen länger arbeiten. Darum führten Kindergärten in der israelischen Stadt Haifa eines Tages eine Strafe ein:Eltern, die zehn Minuten zu spät kamen, mussten zehn Schekel zahlen (ungefähr 2 Euro; ein Babysitter verdient in zehn Minuten ungefähr ein Drittel davon). Doch die Pünktlichkeit der Eltern verbesserte sich nicht. Im Gegenteil: Als die Strafe eingeführt war, kamen doppelt so viele Eltern zu spät. Schließlich konnten sie jetzt später kommen und dafür ihre zehn Schekel zahlen – ein schlechtes Gewissen mussten sie nicht mehr haben.
Die Kindergärten von Haifa zeigen: Die guten Sitten der Menschen und ihr Gewissen sind mehr wert, als so mancher annimmt. Jedenfalls deutlich mehr als zehn Schekel in zehn Minuten. Und: Das Zusammenspiel von Geld und Gewissen ist nicht so einfach.
Forscher haben inzwischen festgestellt: Wenn Menschen anderen einen Gefallen tun wollen, zum Beispiel ihre Kinder pünktlich abholen, dann tun die meisten das auch ohne Geld. Aber längst nicht alle. Wenn das Gewissen allein also nicht ausreicht, kommt Geld ins Spiel – aber dann wird es teuer. Denn Geld ändert die Beziehungen zwischen Menschen fundamental. „Geld ändert die Bedeutung dessen, was wir tun“, sagt der Wirtschaftsforscher Uri Gneezy, der die Kindergartenstrafen in Haifa untersucht hat. „Plötzlich handeln wir fürs Geld und nicht mehr, weil wir so nette Leute sind.“
Der amerikanische Psychologe Dan Ariely denkt beim Thema Geld und Gewissen oft an Silvesterpartys mit Freunden: Wenn die Gäste am Ende des Abends sagen würden, „das war aber ein wunderbarer Abend, viel schöner als im Restaurant. Hier habt ihr dafür 200 Euro“, bekäme die Freundschaft einen großen Knacks.
So funktioniert die Welt in vielen Fällen: Wenn der Nachbar einer Rentnerin beim Schneeschippen hilft, nimmt er dafür gerne ein paar Plätzchen zu Weihnachten an. Aber die Rentnerin dürfte ihm nicht fünf Euro pro Stunde dafür überweisen. Der freiberufliche Ingenieur, der abends die Fußball-F-Jugend trainiert: Würde er sich das mit einem angemessenen Stundensatz bezahlen lassen, könnte der Verein sich das Training nicht leisten. Ein niedriger Lohn ist aber auch keine Lösung. Übrig bleibt nur: gar nichts zahlen, höchstens eine Anerkennung. Nur solange der Trainerjob ein Ehrenamt ist, steht der Ingenieur Woche für Woche auf dem Platz.
Wirtschaftsforscher Uri Gneezy sagt dazu: Der F-Jugend-Trainer handelt aus „intrinsischer Motivation“. Er erledigt die Arbeit aus innerem Antrieb, weil er selbst Spaß daran hat. Vielleicht auch, weil er sich dann als Vorbild fühlt. Wer dagegen für seine Arbeit bezahlt wird, wird von außen motiviert, also „extrinsisch“. Und sobald die extrinsische Motivation wirkt, verschwindet die intrinsische.
Das passiert sogar schon, bevor überhaupt Geld gezahlt wird. Nämlich schon dann, wenn Leute nur ans Geld denken, wie ein Versuch zeigt: Die Teilnehmer mussten Sätze aus einzelnen Wörtern zusammensetzen. Immer wenn sich die Wörter mit Geld beschäftigten, waren die Menschen hinterher weniger hilfsbereit als bei Wörtern, die um andere Themen kreisten. Allerdings nahmen sie beim Gedanken ans Geld auch weniger Hilfe von anderen an.
Geld ist aber nicht das einzige Instrument, das als extrinsische Motivation wirkt. Auch Schulnoten fungieren als äußerer Antrieb oder Abgabetermine. Das weiß jeder, der schon mal mit einer Hobbyarbeit pünktlich fertig werden musste: Schon macht das Basteln viel weniger Spaß.
Der Psychologe Edward Deci von der Universität Rochester hat dafür eine einfache Erklärung: „Alle Menschen wollen autonom sein. Sie wollen das Gefühl haben, wählen zu können und aus freiem Willen zu handeln.“ Deci unterscheidet nicht nur zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation, sondern gleich zwischen mehreren Antrieben: Am schönsten ist demnach der Antrieb aus Spaß an der Freude. Menschen können sich aber auch selbst motivieren, wenn sie wissen, dass die Arbeit nötig ist. Sie können aus Pflichtgefühl handeln. Oder eben, weil sie dafür von außen belohnt werden. Die äußere Motivation verdrängt aber meist immer die innere.
In den meisten Fällen kann die äußere Motivation mit Geld genauso wirksam sein wie die innere – allerdings muss der Betrag dann recht hoch sein. Amerikanische Kindergärten, so erzählt Uri Gneezy, hätten zum Beispiel recht pünktliche Eltern, wenn sie 60 Dollar pro Verspätung verlangten.
Wie teuer das Gewissen den Menschen ist, hängt auch davon ab, mit wem wir es zu tun haben: „Es liegt am Einkommen der Menschen, am Thema und an anderen Dingen“, sagt Gneezy. Bei israelischen Schülern reichten schon zehn Schekel, um ihren inneren Antrieb zu ersetzen (siehe Text rechts oben: Gotteslohn zahlt sich aus). Bei amerikanischen Rechtsanwälten wiederum waren deutlich mehr als 30 Euro pro Stunde nötig. Der Psychologe Dan Ariely resümiert daher: „Oft ist Geld der teuerste Weg, Menschen zu motivieren.“
Im Umkehrschluss gilt dann auch: Ohne Geld lassen sich die Menschen oft noch viel einfacher motivieren. Wer das weiß, kann daraus sogar Profit schlagen – zum Beispiel, indem er Anwälte kostenlos arbeiten lässt (siehe Text rechts unten: Ein gutes Gefühl motiviert).
Die Motivation per Geld hat nämlich noch einen ganz anderen Nachteil. Wer diesen Weg einmal einschlägt, kann ihn nicht so leicht wieder verlassen. Auch das lehrt nämlich das Kindergartenexperiment: Wenn das Gewissen einmal durch Geld ersetzt worden ist, meldet es sich nicht so schnell wieder zurück. Die Kindergärtnerinnen nahmen zwar die Strafen später wieder zurück. Doch es half nichts. Die Eltern kannten jetzt den Preis für ihre Verspätungen, fanden ihn unspektakulär – und blieben so unpünktlich, wie sie es geworden waren.
Entschuldigen ist unbezahlbar
Wenn ein Händler unzufriedene Kunden hat, besänftigt er sie mit einer einfachen Entschuldigung am leichtesten. Das ist viel einfacher, als ihnen Geld zu zahlen. Das zeigt ein Versuch an den Universitäten Nottingham und Bonn.
Der Ökonom Johannes Abeler und seine Kollegen beobachteten die enttäuschten Kunden eines Ebay-Händlers. Die ermittelten sie über die Bewertungen, die diese Käufer selbst über die Händler auf Ebay abgegeben hatten. Änderte sich später die Einstellung der Kunden, konnten sie schlechte Bewertungen wieder zurückziehen – so funktionierte das Bewertungssystem zur Zeit des Versuches.
Das Experiment war ganz einfach: Bewerteten Kunden den Händler schlecht, bat er sie darum, ihren Eintrag zurückzuziehen. Einem Teil der Kunden schickte er dazu nur eine Entschuldigungs-Mail. Einem anderen Teil bot er einen Gutschein über 2,50 Euro fürs Zurückziehen der Bewertung an. Ein dritter Teil bekam sogar einen Gutschein über fünf Euro.
Das verblüffende Ergebnis: Die Kunden, die keinen Gutschein bekamen, zogen ihre Bewertungen am häufigsten zurück. Rund 45 Prozent der Kunden kamen der Bitte des Händlers nach, nachdem er sich entschuldigt hatte. Eine Entschuldigung zwingt das Gewissen zur Annahme. Bei einem Gutschein waren die Kunden weniger kooperativ. Beim 2,50-Euro-Gutschein ließen sich nicht mal 20 Prozent der Kunden dazu bewegen, ihre Bewertung zurückzuziehen. Beim 5-Euro-Gutschein waren es 23 Prozent. Damit waren selbst die Kunden, die fünf Euro bekamen, nur halb so entgegenkommend wie die, die nur eine Entschuldigung gehört hatten.
Würde man das einfach hochrechnen, bedeutete das: Erst ein 40-Euro-Gutschein hätte die Kunden so zufrieden gestimmt wie die Entschuldigung. Dabei hatten die Kunden im Durchschnitt nur für 23,20 Euro eingekauft.
Zurück zum Arbeitsglück
Ursula Kals – Es läuft schlecht. Der Arbeitsalltag fühlt sich irgendwie falsch an. Das lässt sich ändern – auch ohne einen Stellenwechsel.
Die Lust auf rund 220 neue Tage Büro hält sich in Grenzen. Der Kopf brummt, der Blick auf den beachtlichen Stapel „Unerledigtes“ setzt nicht eben Glücksgefühle frei. Öde oder wahlweise zu viel Arbeit, ein fordernder Chef, klatschsüchtige Kollegen – Gründe, sich ungern an den Schreibtisch zu begeben, lassen sich viele finden. Die jährliche Gallup-Studie liefert die Zahlen: Rund zwei Drittel aller Beschäftigten sind unzufrieden mit ihrem Arbeitsplatz.
Dabei übersehen sie möglicherweise eines: „Jeder ist Gestalter der Stimmung, das verkennen viele“, bedauert Stephan Lermer. Gerne zur Arbeit zu gehen, dafür kann man selbst etwas tun. „Es geht um das Duo Einstellung und Verhalten“, sagt der Münchener Psychologe und zitiert den Schriftsteller Manès Sperber: „Das Glück ist eine Überwindungsprämie.“ Anstatt sich über den Aktenberg zu grämen, hilft eine andere Haltung, die Lermer skizziert: „Ich nehme auch Aufgaben an, die nicht meine Präferenz sind, das sind Lästigkeiten, davon lasse ich mich nicht dominieren.“ Der promovierte Psychologe zitiert den Begriff Dienstleistung, „ich diene und leiste, dafür werde ich bezahlt“. Lermer ermutigt, mehr an sich abprallen zu lassen, „agieren, weniger reagieren und sich von schlechter Laune anstecken lassen“. Betritt jemand lächelnd das Büro, steigt nicht nur dessen Stimmung. „Freundlichkeit hat eine große Rendite, man zeigt ein Lächeln und erntet viele.“
Schon kleine Änderungen können den Arbeitstag vergnüglicher gestalten. Zum Beispiel, einen anderen Weg zur Arbeit zu wählen, ein Stück zu Fuß gehen. „Die Routine unterbrechen, die mich ins negative Gefühl bringt“, empfiehlt die Kölner Wirtschaftspsychologin Uschi Gersch und: „Den Tag neu strukturieren, mehr Freiraum schaffen, indem man etwa konsequent zwischen neun und elf Uhr nicht ans Telefon geht.“
Den üblichen Tipp, zuerst die unangenehmste Aufgabe in Angriff zu nehmen, hält Psychologe Lermer nur bedingt für tauglich. Das sei nur etwas für Introvertierte, die früh morgens schon zu Hochform aufliefen. Seine Strategie: „Wenn man etwas ganz Unangenehmes machen muss, sich nicht davor drücken, sondern sich etwas noch Unangenehmeres ausdenken, was man dann als Alternative machen müsste, also zum Beispiel das Archiv sortieren.“
Natürlich lassen sich viele Probleme nicht einfach weglächeln. Um die Gründe der Unzufriedenheit aufzuspüren, sollte man die Situation analysieren. Was macht mich konkret unglücklich? Ist es die Aufgabe, der Chef, bin ich unter- oder überfordert, stören mich die Räume? „Stellen Sie sich vor, die Fee kommt und sagt: Alles wird gut, was werden Sie als Erstes ändern?“, rät die Berliner Psychologin Brigitte Scheidt.
Manchmal genüge es, sich ein Stück mehr Raum zu nehmen, den Schreibtisch anders zu stellen und das Büro mit einem Lieblingsbild aufzuhübschen. Und Dinge, die für die eigene Leistung stehen, um sich zu versammeln. „Das kann eine Urkunde oder ein bestimmtes Geschenk als Sinnbild für die eigene Wertigkeit sein“, sagt Karriereberaterin Scheidt. Wer mit seiner Arbeit hadert, der sollte sich seine Stärken vergegenwärtigen, aufschreiben, warum er für das Unternehmen wichtig ist. Wem das schwerfällt, der kann einen guten Freund bitten, das zu tun. Im zweiten Schritt kann man bei der Personalentwicklung oder den Vorgesetzten um neue, herausfordernde Aufgaben bitten. „Das wird nicht immer an einen herangetragen, da muss man selbst aktiv sein“, sagt Brigitte Scheidt.
Ebenso fatal wie Unterforderung ist Überforderung. „Hier muss man Grenzen setzen, Konflikte riskieren. Denn wenn ich alles machbar mache, laufe ich irgendwann auf dem Zahnfleisch. Es ändert sich aber nichts“, warnt Brigitte Scheidt. Hilfreich sei, sich anzuschauen, wer im Kollegenkreis keine Überstunden ohne Ende leiste, wem keine Zusatzarbeiten aufgedrückt werden. „Und schauen, was macht derjenige anders? Für Bravsein wird man nicht belohnt, nicht geachtet und respektiert“, sagt Scheidt. Nein zu sagen funktioniert auch indirekt, „indem man zivilisiert fordert“, sagt Stephan Lermer. Drängt der Chef spät mit einem Eilauftrag, bietet der Mitarbeiter an: Das mache ich gerne morgen. Passt Ihnen 10 oder 11 Uhr besser? Lermer erklärt: „Der Chef hat das Gefühl, er kann wählen.“
Schwierigkeiten mit dem Vorgesetzten gehören quasi zum Standardrepertoire der Unzufriedenen. „Was will, was braucht mein Chef?“ Mit dieser Schlüsselfrage ermutigt Brigitte Scheidt nicht zur Anbiederei, aber zum Perspektivenwechsel. „Also beim Chef nachfragen: Was verstehen Sie unter Erfolg? Das trägt zur Klärung bei.“ Ist mein Chef lösungsorientiert, ist es sinnlos, vor ihm viele Details zu referieren. Lege ich großen Wert auf Pünktlichkeit, meinem Chef ist das aber egal, ist es albern, als Erster zu kommen. Stephan Lermer setzt auf Empathie: „Der hat es schwer mit sich selbst, ich schenke auch einem blöden Chef unverdientermaßen ein Lächeln, meine Präsenz, strahle Souveränität aus.“ Die Gefahr sei allerdings, es damit zu übertreiben und arrogant zu wirken.
Distanz entschärft Konflikte mit Kollegen. Stephan Lermer sagt: „Hören Sie auf, sich zu ärgern, lassen Sie sich nicht zum Mülleimer missbrauchen. Sonst gibt es Frustration.“ Uschi Gersch rät, sich in die anderen hineinzuversetzen, „zu überlegen, wie die über mich, untereinander über sich denken, welche Netzwerke, Antipathien bestehen“. Diese sogenannten zirkulären Fragen verschaffen Abstand.
Brigitte Scheidt empfiehlt, mehr auf das Tun als auf die Person zu gucken: „Was ist der eigentliche Konflikt, was stört mich an den anderen? Habe ich ihm das mal gesagt, weiß der das?“ Klärt man kleine Konflikte früh, eskalieren sie selten. Ein Beispiel: Zwei Kollegen teilen sich ein Büro, der eine ist kommunikativ, plaudert gerne über das, was er gerade tut oder zu tun gedenkt. Der andere arbeitet still und ist gut beraten, um ein offenes Gespräch zu bitten und seine Kritik in Ich-Botschaften zu verpacken: „Ich merke, dass ich schlecht arbeiten kann, wenn viele Leute im Raum sind oder ich oft angesprochen werden. Haben Sie eine Idee, wie man das klären kann?“ Wenn die beiden dann ein Signal oder Zeiten für Austausch und Kollegenplausch vereinbaren, klappt die Arbeit besser.
Ein Patentrezept für berufliches Glück gibt es nicht, wohl aber für mehr Zufriedenheit. Uschi Gersch rät zur Zielüberprüfung. „Inwieweit habe ich meine ursprünglichen Ziele verfehlt? Stimmt mein Lebensziel mit meiner inneren Verfasstheit überein?“ Habe ich eine große Karriere angestrebt und bleibe irgendwo im mittleren Management hängen? War das utopisch, und passt das, was ich erträumt habe, vielleicht gar nicht mehr zu mir? Uschi Gersch coacht aber auch Erfolgsverwöhnte, die Karriere gemacht haben, aber unzufrieden sind. Das seien häufig Männer um die 50, denen Leistung und Erfolg eine Zeitlang Spaß gemacht haben, die aber versäumt haben zu erkennen, „dass es Muße, Nachdenken und Nichtstun gibt im Leben“.
Manche berufliche Unbill muss ich möglicherweise ertragen, weil da die Hypothek fürs Haus und Kinder sind. „Dann beschließen Sie für eine begrenzte Zeit, dass der Job zum Füllen des Kühlschranks dient. Wichtig ist, dass Sie dies entscheiden und so nicht Opfer sind“, sagt Brigitte Scheidt. „Probleme, die nicht zu lösen sind, sollte man anerkennen und nicht als inneren Arbeitsverhinderer einsetzen“, meint auch Uschi Gersch und schlägt vor: „Wo kann ich außerhalb des beruflichen Kreises Ausgleich finden, dem Leben Inhalt oder Sinn geben?“ Das können Führungsaufgaben in einem Verein sein, ein Stück Anerkennung verschafft vielleicht der Posten als Elternsprecher. Wer sich im Job unterfordert fühlt, den fordert ein Fernstudium. „Sozial wunderbare Dinge, abenteuerliche Sportarten, all das kann zum wichtigen Lebensmittelpunkt werden.“