Pro-aktive Führung

Ulrich Grannemann – Proaktive Führung ist das, was wir tun, bevor wir reagieren müssen. Aber was heißt das konkret? Und welche Werkzeuge brauche ich dazu?

Zum Begriff
Aber gibt es so was wie proaktive Führung überhaupt? Ist der Begriffe nicht sogar tautologisch? Der Duden hat sich mit der Aufnahme des „proaktiv“ neben dem einfachen „aktiv“ sehr schwer getan. Im englischen wird „proactive“ dagegen häufig gebraucht.
 
Was ist proaktive Führung?
Für mich ist es sehr sinnvoll, zu schauen, wie hoch mein proaktiver Führungsanteil ist. Während aktive Führung alles beinhaltet, was von einer guten Führungskraft erwartet wird (s.u.), ist proaktive Führung das, was keiner von mir erwartet, was (zunächst) nicht auffällt, wenn ich es nicht tue. Es ist investierend, prophylaktisch, vorsorgend und sorgt dafür, dass Störungen erst gar nicht entstehen bzw. schon im Ansatz erkannt und behandelt werden. Je weniger ich proaktiv und je schlechter ich aktiv führe, umso mehr werde ich reaktiv, reparierend, korrigierend, beschwichtigend unterwegs sein müssen.
Proaktiv Führen ist wie „… sich kratzen, bevor es juckt“
Übersicht:
 
Reaktive Führung
 
 
Aktive Führung
 
Proaktive Führung
 
Reaktive Führung ist: Von Anfrage zu Anfrage, von Termin zu Termin (durch den Tag „surfen“).Die Folgen von mangelnder Führung bewältigen: Symptome, Fehler, Abweichungen:
 
Einen Konflikt lösen oder schlichten, eine Krise bewältigen, Einwände klären, Jammern, Schimpfen und Anspruchshaltungen bekämpfen, MAG-Protokollbögen ausfüllen, Fehler korrigieren Beschwerden managen, Demotivation entgegenwirken, Fehlzeiten bekämpfen
 
 
Aktiv Führen heißt das zu tun, was von einer guten Führungskraft erwartet wird:
– Für Aufgabenerledigung sorgen, zuteilen, managen
– Meetings einberufen, moderieren, Entscheidungen herbei führen
– Aktiv nachfragen, Feedback geben.
– Jahresgespräche, Planungen und Budgetierungen durchführen
– Projekte am Laufen halten.
 
 
Proaktiv führen heißt:
– Ärgerpunkte klären, neue Regeln entwickeln und vereinbaren, bevor die Konflikte kommen
– Unzufriedenheiten und Störungen erkennen bevor es sich zur Demotivation auswächst.
– stetig die Leistungen auch gerade bei den Routineaufgaben verbessern, bevor sich Fehler häufen
– viel mehr Zeit in die Orientierung durch Ziele und Sorgfalt in der Aufgabendelegation legen, anstatt nachzusteuern, zu korrigieren und Kritik nötig zu machen.
– heute schon strategisch ausloten und vorbereiten, was morgen für unsere (internen und/oder externen) Kunden wichtig werden könnte, bevor wir Erwartungen nicht mehr erfüllen.
 
Werkzeuge proaktiver Führung: Ein Früherkennungssystem
Kernpunkt proaktiver Führung ist das frühe Sichtbar-Machen von Dingen, die sonst erst später und manchmal zu spät sichtbar werden. Es geht um Früherkennungssysteme. Dazu passen auch Metaphern wie TÜV-Untersuchung, Boxenstopp, Prophylaxe. Meines Erachtens sind es vier Punkte, auf die sich unser Augenmerk richten sollte: Zwei beziehen sich direkt auf die Menschen und zwei auf die Aufgaben:
  1. Reibungen früh erkennen, bevor Konflikte entstehen.
  2. Unzufriedenheiten früh erkennen, bevor Demotivation entsteht.
  3. Leistungspotenziale erkennen, bevor Kunden unzufrieden werden.
  4. Neue Produkte erkennen, bevor andere es tun.
Punkt 4 ist die Frage an die Zukunft. „Wer zu spät kommt, den betraft das Leben“(Gorbatschow). Welche neuen Methoden, Technologien, Instrumente, welche anderen Wege führen zum gleichen Ziel? Unternehmertum, Entrepreneurship sind gewünschte Eigenschaften, „Blue Ocean“, Szenarien und Zukunftswerkstatt sind Instrumente dieses Teils proaktiver Führung.
 
Punkt 3 ist die Frage an unsere (internen und externen) Kunden. Wie zufrieden sind unsere Kunden mit uns als Lieferanten? Erfüllen wir deren Erwartungen? Wie können wir unseren Kunden helfen, ihre Kunden glücklich zu machen? Kaizen, KVP (Kontinuierlicher Verbesserungsprozess) und Benchmarks sind fast schon angestaubte Instrumente zur stetigen Verbesserung. Die Ressourcen werden schnell von den aktuellen (Leuchtturm-) Projekten geschluckt, dabei geht es eher darum „das Gewöhnliche außergewöhnlich gut zu tun“ (Thomas Auwärter). Lust, Engagement und Motivation in die Routine- und Kernprozesse zu bringen wird zur Kernaufgabe in der Führung.
Punkt 1. und 2. sind Fragen an die Mitarbeiter. Da wir nicht fehlerfrei kommunizieren können, können wir auch nicht fehlerfrei führen. Ärgerpunkte und Störungen reichern sich an und verschwinden nicht von allein. Erhöhte Aufmerksamkeit im Tagesgeschäft und ein Gespräch über die Qualität der Zusammenarbeit einmal im Jahr wird dem nicht gerecht. In dieser Führungslücke findet letztlich das statt, was gute Führungskräfte auszeichnet: Das regelmäßige Gespräch über die Arbeitsbedingungen ca. alle 4 bis 12 Wochen als „TÜV-Gespräch“, „Boxenstopp“, „Zwischengespräch“ oder „Quartalsgespräch“. Inhalte: Veränderungen in den Prioritäten und Zielen, Klarheit bei den delegierten Aufgaben. Was sind die aktuellen Hauptthemen, was beschäftigt VG und MA? Gibt es Ärgerpunkte in der Beziehung zwischen VG und MA. Stand der Arbeitszufriedenheit und Motivation.
Herausforderung proaktiver Führung: Keiner fordert dazu auf!
Die größte Herausforderung ist, dass proaktive Führung hoch wichtig aber nicht dringend ist. Niemand verlangt es von Ihnen, keinem fällt es auf, wenn sie es nicht tun. Sie bekommen auch keine direkte Belohnung, wenn sie es tun. Die Aufgaben kommen von ganz allein, die Termine für Besprechungen und Präsentationen, die Beschwerden der Kunden, die Krisen der Mitarbeiter, die Aufforderung, Zahlen zu liefern oder ein Mitarbeitergesprächprotokoll abzugeben. Da brauchen wir uns nicht führen. Da können wir uns (von anderen) treiben lassen.
Aber da, wo es wirklich drauf ankommt, kommt Niemand und Nichts, das uns dazu auffordert. Wenn es nicht die eigene Disziplin schafft, passiert es gar nicht.
„Es passiert nichts Gutes, außer man tut es“ Erich Kästner
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Veröffentlicht in Allgemein.

2 Kommentare

  1. Lieber Herr Grannemann,

    ich glaube, auch Sie sind – wie viele unserer Zeitgenossen – einem Beispiel schlampiger Übersetzung aus dem Englischen aufgesessen.
    Alle Erklärungsversuche für „proaktiv“ sind überflüssig, da es für deren Bedeutung bereits ein deutsches Wort gibt: „initiativ“.
    Wenn Sie in Wörterbüchern unter „proactive“ nachschlagen, finden Sie die deutsche Übersetzung „initiativ“.
    Damit sind auch wieder alle scheinbaren Widersprüche und vermeintlichen Auslegungsvarianten aufgehoben, denen man bei den Deutungsversuchen dieses denglischen „proaktiv“ begegnet.
    Erfreulicherweise hat die deutsche Sprache schon seit langer Zeit verständliche Begriffspaare hervorgebracht: „aktiv“ als Gegensatz zu „passiv“ – also handelnd versus nicht handelnd sowie „initiativ“ als Gegensatz zu „reaktiv“ – also vorzeitig versus reagierend handelnd.
    Prüfen Sie Ihrer o.g. Erklärungen. Sie werden sehen, dass wir kein deutsches Wort durch ein „denglisches“ ersetzen müssen.
    Bei unseren englischsprachigen Freunden ist es das Wortpaar noch einsichtiger: „proactive“ ist der Gegensatz zu „reactive“. Versteht wirklich jeder sofort.

    • „proaktiv“ ist eine bewusste Wortwahl. Denn, wie Sie sagen, wird „proactiv und reactiv“ in ihrer Eindringlichkeit sofort verstanden. „Das macht einfach Sinn“. Nicht wahr?

      Wir fühlen uns einer schnellen Verständlichkeit verpflichtet. Als germanistischer Lehrstuhl würden wir uns anders entscheiden. Das, was eine Führungskraft tun muss, um nicht in eine „reaktive“ Falle zu geraten, ist allerdings mit „initiativ“ nur sehr unzureichend zu beschreiben. An anderer Stelle („Ein neuer Führungsstil kündigt sich an – der evolutionäre Führungsstil“) versuchen wir es mit „investiv“.

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