Was macht das Mensch-Mensch-System einfacher?

Ulrich Grannemann – Schnell ein Wort zu viel, eine Rück-Mail zu spontan versandt, mal wieder eine Reaktion eines Mitarbeiters, die man nicht versteht, ein Chef, der nicht antwortet, ein Kollege, der einen nicht versteht. Konflikte, Missverständnisse, Ärger und.. und.. und … 

Was macht das Mensch-Mensch-System so schwierig?
Schauen wir uns das Mensch-Mensch-System genauer an:
 
Der Reiz
Es beginnt mit einem Reiz von Außen. Das kann eine Mail, ein Satz, ein Gesichtsausdruck, eine Geste oder ein Geräusch sein. Das sind zunächst  beobachtbare Fakten, die wir aufnehmen. Tatsachen sind unschuldig und ungefährlich. Erst das, was wir daraus machen, macht es schwierig, aber auch interessant.
 
Die Deutung (D1)
Was machen wir daraus?
Unser Bezugssystem interpretiert die Fakten und gibt ihnen eine eigene, individuelle Bedeutung. Diese besteht aus Gelerntem, unseren Erfahrungen, unserem Welt- und Selbstbild. Ein Knall kann für einen Motorradfan etwas völlig anderes bedeuten, als für einen Menschen mit Kriegserfahrung. Was für den Einen eine Karikatur ist, bedeutet für einen anderen Blasphemie. Zum Beispiel hängt die Bedeutung eines „Nicht-gegrüßt-werden“ stark von der Selbstsicherheit eines Menschen ab.
Wir Menschen neigen dazu, eher zu viel als zu wenig auf uns zu beziehen. Wir nehmen uns im Zweifel zu wichtig.
Neben dem Bezugssystem bestimmen zwei weitere Bereiche die Deutung:
1. Situation: Was war vorher? Auch das Phänomen des Priming gehört dazu.
2. Stimmung: Diese färbt die Deutung ein, gibt ihr eine, mitunter sehr starke, Tendenz: Gereiztheit, schlechte Laune, Depression.
 
Das Gefühl (G1)
Die Deutung bestimmt unseren Handlungs-Zustand, unser Grundgefühl. Es bereitet uns auf die Handlungen vor. Ist das Gefühl Neugier, Scham, Angst, Wut, Anregung, Trauer usw.? Unser Unterbewusstsein (vgl. Elefant und Reiter) sorgt für uns. Die ausgelösten Gefühle stellen uns die notwendigen Ressourcen zur Verfügung und bestimmen das Grundset von Reaktionen. Was ist die Absicht, die unser System verfolgt (z.B. Schutz, Angriff, Sicherheit, Revier oder Rang verteidigen)?
 
Die Reaktion (R1)
Welche Wahlmöglichkeiten haben wir, diese Absicht zu erreichen. Je größer unser Repertoire ist, umso größer sind unsere Fähigkeiten. Je schneller die Reaktion desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht die beste Reaktion wird.
Autonome Reaktionen laufen sehr schnell vom Reiz zur Reiz-Reaktion und werden zu Automatismen ohne Wahlmöglichkeit und Kontrolle.
 
Aber was zwingt uns dazu den Reiz so zu interpretieren, wie wir es tun?
Was wäre, wenn nicht Deutung 1, sondern Deutung 2 oder Deutung 3 oder gar Deutung 4 die richtige ist? Der Psychologe George Pennington nimmt die Grußverweigerung als Beispiel. Vielleicht hat die Person ihre Kontaktlinsen vergessen, ist mit was anderem beschäftigt, hat Schmerzen oder läuft vor jemanden weg. Ein Mitarbeiter, der sich rechtfertigt, will nicht sagen, dass er Recht hatte, sondern ist bemüht sich zu Ent-Schulden. Jede alternative Deutung führt zu einem anderen Gefühl und so zu einer anderen Reaktion.
 
Was wäre, wenn nicht die erste, sondern die zweite oder die dritte Deutung die richtige wäre. Jede Deutung führt zu einer anderen Reaktion. Dieses Zurücktreten, Nachdenken, Überlegen, Innehalten ermöglicht sich neu zu entscheiden. Die erste Deutung und damit auch das eigene Bezugssystem immer wieder in Frage zu stellen.
 
„Erst einmal drei Schritte zurücktreten und fragen, ob das auch was mit mir zu tun hat“
Prof.Peter Nieschmidt

 

Es gibt viele Namen für diesen Zustand, der offen ist für andere Perspektiven: Introspektion, Meta-Position, Nachdenken, Innehalten, der innere Beobachter. Es ist die Kunst den Lichtkegel der Aufmerksamkeit von der eigenen Befindlichkeit auf die möglichen Selbst- und Weltbilder der anderen zu richten.  

Die Herausforderung besteht darin, sich in diesen Zustand zu bringen, wenn es darauf ankommt. Die Ratgeber sind voll von Hinweisen, wie das geht, von Atemtechnik bis Zen. Nur was man ständig übt, wird irgendwann zum Automatismus.  
 
„Der andere Mensch ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als wirklich boshaft sein zu können“ lautet ein Aphorismus von Friedrich Nietzsche. „Die Menschen sind keineswegs böse, sondern nur ihren Interessen unterworfen“ sagt Claude-Adrien Helvetius.

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Leserkommentare:

Klasse Artikel, die Matrix werde ich mir im Büro an eine Stelle heften, an der ich sie gut im Blick habe und sie für andere nicht direkt zu sehen ist.

Ja und darüber hinaus gibt es einen Raum zwischen Reiz und Reaktion den wir nutzen können. Das ist das "Erst einmal drüber schlafen". Und weil wir ungeduldig sind und manche Dinge äußerst wichtig erscheinen (ob das auch immer so ist?), reagieren wir aus den Reflexen heraus ohne viel darüber nach zu denken. Dann nutzen wir aber auch viel Zeit wieder zu reparieren was wir angestellt haben. Da müssen wir uns dann die Zeit nehmen die wir eben nicht vorher zwischen Reiz und Reaktion nutzen wollten.

 

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Veröffentlicht in Führungsrolle.

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