Roland Gruber – Für die Übernahme einer Führungsposition ist Führungserfahrung von großer Bedeutung, zumindest wenn man Stellenanzeigen oder Personalern glauben will.
Die Wirtschaftspsychologen Professor Uwe Peter Kanning (forscht vor allem zum Thema Personalauswahl) und Philipp Fricke empfehlen allerdings, dies bei der Personalauswahl nicht zu beachten. Ein wissenschaftlicher Beleg lässt sich dafür nicht finden.
Die Studie
814 Personen durchliefen ein Assessment-Center (AC), in dem ihre grundsätzlichen Führungsfähigkeiten getestet wurden. Diese Führungsfähigkeiten wurden anhand von neun Bereichen eingeschätzt:
- Entscheidungsfähigkeit: gute Entscheidungen treffen
- Selbstreflexion: über sich selbst nachdenken
- Kommunikationsfähigkeit: klar und motivierend reden
- Konfliktfähigkeit: Konflikte erkennen und mit ihnen umgehen
- Kooperationsfähigkeit: mit anderen zusammenarbeiten
- Führungsfähigkeit: andere anleiten und führen
- Organisationsfähigkeit: Arbeit planen, aufteilen und ausführen
- Problemlösefähigkeit: Probleme aufdröseln und aktiv nach Lösungen suchen
- Überzeugungsfähigkeit: andere von einer Sache begeistern
Die so gefundenen Fähigkeits-Profile wurden dann korreliert mit der bisherigen Führungserfahrung, der Anzahl geführter Mitarbeiter, dem Alter und dem Geschlecht.
Die Ergebnisse: Erfahrung, Alter und Teamgröße machen keinen Unterschied. Frauen schneiden besser ab als Männer
Führungserfahrung ist unerheblich.Wer bereits Mitarbeiter geführt hatte, schnitt im Assessment (und zwar in allen neun Bereichen) nicht besser ab, als diejenigen ohne bisherige Führungserfahrung. Im Bereich der Führungsfähigkeit waren die Führungsanfänger sogar deutlich vor den erfahrenen Führungskräften.
Anzahl der Mitarbeiter ist unerheblich. Es spielt offenbar keine Rolle, ob man bisher große oder kleine Teams geführt hat.
Alter spielt nur eine ganz kleine Rolle. Die im Assessment gemessene Führungsleistung wurde tendenziell mit zunehmendem Alter minimal schlechter (im Bereich von maximal 5 Prozent)
Frauen führen besser. Im Assessment waren die Frauen in allen neun Bereichen deutlich besser als die Männer. Sie konnten besser entscheiden, reden, zusammenarbeiten, führen, organisieren, Probleme lösen, über sich selbst nachdenken und andere überzeugen.
Erfahrung macht also nicht automatisch bessere Führungskräfte. Die Autoren empfehlen:
- Führungserfahrung nicht als knock-out Kriterium bei Bewerbern auf Führungspositionen zu nehmen
- Führungserfahrung in Stellenausschreibungen nicht als Kriterium zu benennen
- Führungserfahrung durch mehr und qualifizierte Rückmeldung, Training/Coaching und gezielte Verstärkung zu erhöhen.
Das, was wir Erfahrung nennen, ist ja oft nichts anderes, als das, was wir von anderen abgeschaut haben und was sich in der Praxis einigermaßen bewährt hat. Oder man versucht, das Gegenteil von dem zu machen, was man selbst als „schlecht“ erlebt hat. Wenn Sie sich weiter entwickeln wollen müssen Sie andere Menschen (Kollegen, Chefs, Mitarbeiter, Freunde) fragen, wie das, was Sie tun, außen ankommt. Ohne Feedback lernt man nichts dazu.