Die Duz-Kultur in deutschen Unternehmen nimmt immer mehr zu. Inzwischen reden sich in ca. 50 % der Unternehmen nicht nur die Kollegen untereinander, sondern auch die Mitarbeiter ihre Chefs mit einem „Du“ an. Damit wird wieder einmal eine angelsächsische Gewohnheit eins zu eins ins Deutsche übernommen, ohne den Hintergrund zu reflektieren. Spätestens wenn der oberste Chef von Lidl das Duzen in seinem Unternehmen anordnet, scheint etwas faul daran zu sein. Schon die Begründung (sinngemäß), er finde das Duzen auf dem Golfplatz so toll und wolle das deshalb auch im Unternehmen so haben (ein Betriebsrat ist aber weiterhin unerwünscht!). Worum geht es denn dann eigentlich? Wird hier nicht vielmehr einiges an Klarheit in den Beziehungen vernebelt und die Kommunikation erschwert?
Das englische „you“ ist ja auch mehrdeutig und in der öffentlichen bzw. Arbeitskommunikation dem deutschen „Sie“ (bzw. altmodisch „Ihr“) mehr verwandt als dem vertraulichen und nahen „Du“. Deswegen fällt es amerikanischen Arbeitgebern nicht schwer zu sagen: „You are fired.“ „Du bist gekündigt“ kommt auf Deutsche jedenfalls deutlich unangemessener und konfliktärer rüber. Daher stelle ich die These auf, dass es nur um vermeintliche Klimaverbesserungen geht, um die dann doch noch vorhandenen Hierarchien zu verschleiern und eine „Silicon-Valley-Kultur“ zu simulieren, die aber gar nicht zum Unternehmen passt.
Wenn Sie also auch in einem Unternehmen arbeiten, dass das „Du“ vorschreibt, dann stellen Sie sich folgende Fragen:
- Kann ich dem Kollegen, den ich duze, trotzdem ein kritisches Feedback geben, und wird dieser dann die Ernsthaftigkeit erkennen?
- Bringe ich die Kollegen und die Kolleginnen vielleicht in die Bredouille, wenn ich sie duze, obwohl diese das gar nicht wollen?
- Könnte ich einen Kollegen erforderlichenfalls auch abmahnen bzw. kündigen (lassen)?
- Habe ich die gleiche Autorität und werde ich genauso ernst genommen, wenn ich alle duze?
- Können die Kollegen zwischen meinen Rollen als Kollege und Vorgesetzter wirklich unterscheiden?
- Werde ich von meinen Mitarbeitern vermehrt zur Kontaktaufnahme in sozialen Medien eingeladen, und welche Erwartungen sind damit möglicherweise verknüpft?
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Das „Du“ zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern kann vieles einfacher und direkter machen, wenn es für beide stimmt. Als Zwang zur angeblichen Verbesserung der Unternehmenskultur halte ich es – auch aus der Erfahrung so mancher Trainings- und Coaching-Kunden – für kontraproduktiv und verunklarend.
Und was meinen Sie? Ich freue mich auf Ihre/Eure Kommentare!
Ich finde durch den zu lockeren Umfang und die zu schnelle oder sogar verordnete „duzerei“ wird es für Vorgesetzte oft schwieriger im Umgang. Grenzen werden schneller überschritten, es kommt schneller zu zweideutigen Bemerkungen, wo sich dann alle Beteiligten ihren Nektar herausholen können.