Gerüchte als Zeitfresser und Vertrauenskiller – eine Herausforderung für Führungskräfte

Michael Schmidt – Gerüchte, Klatsch, sich etwas zusammenreimen – die Lust am Spekulieren und Phantasieren über das, was man nicht weiß, ist ein urmenschliches Phänomen, das überall anzutreffen ist. Wenn man diese Phantasien gar noch kommunizieren (mit anderen teilen) kann, dann macht es doppelt Spaß, und manchmal kommt sogar etwas Sinnvolles dabei heraus, z. B. neue Ideen, Anstöße zum Nachforschen, oder der gesunde Menschenverstand prüft kritisch, ob etwas wirklich so sein kann, wie es gerade propagiert wird. Das Bedürfnis, sich etwas zu erklären, einen Sinn und Zusammenhänge zu finden, um etwas verstehen (und damit auch akzeptieren) zu können, drückt sich somit ebenfalls im Spekulieren aus.

 

Gefährlich wird es, wenn Gerüchte – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – für schlechte Stimmung sorgen, Ohnmachtsgefühle bei Mitarbeitern und Führungskräften hervorrufen oder gar das Vertrauen in einem Team oder in die Führung untergraben. Dann ist die Führungskraft gefordert, für Klarheit und Transparenz zu sorgen und das Ausmaß an Gerüchten so weit wie möglich zu reduzieren, um Vertrauen zu erhalten oder wiederzugewinnen. Das ist oftmals gar nicht so schwer, wie es auf den ersten Blick erscheint. Hierzu ein (reales) Beispiel aus einem  Projekt:

 

Die Fusion der Tochterfirmen zweier Großkonzerne läuft schlecht. Der dritte Geschäftsführer in 9 Monaten, hohe Fluktuation insbesondere bei den Spezialisten, verunsicherte Mitarbeiter und Kunden – so kann es nicht weitergehen. Der für einen – zukünftig gemeinsamen – Standort verantwortliche Manager beauftragt uns damit, an seinen beiden – noch getrennten – Standorten jeweils eine Mitarbeiterbefragung durchzuführen, um zu erfahren, was genau die Mitarbeiter bewegt und wie möglicherweise die schlechte Stimmung verbessert und die Fluktuation gestoppt werden kann. Wir führen die Mitarbeiterbefragungen an beiden Standorten durch und erhalten dabei viele vertrauliche Informationen (auch in Form von Gerüchten und Phantasien). Daher bitten wir unseren Auftraggeber, sich etwas einfallen zu lassen, das er seinen Mitarbeitern als sofortige Gegenmaßnahme hierzu anbieten kann.

 

Nachdem wir die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung vorgestellt haben, tritt der Manager vor die Mitarbeiterversammlung und sagt: „Vielen Dank für Ihre ehrlichen Feedbacks. Was mich von allen angesprochenen Problemen am Allermeisten stört, sind diese vielen Gerüchte. Ich mache Ihnen daher ein Angebot: Nennen Sie mir ein Gerücht (persönlich, per mail oder Telefon), und ich antworte Ihnen innerhalb von 24 Stunden, ob etwas dran ist oder nicht.“ Prompt meldet sich eine Person und fragt: „Ich habe gehört, der Bereichsleiter xy wird unser Unternehmen verlassen. Stimmt das?“ Daraufhin antwortet der Manager: „Dazu kann ich Ihnen zum Glück gleich sagen: Da ist nichts dran!“ Er erntet teils ungläubiges, teils anerkennendes und teils skeptisches Gemurmel im Saal.

 

Er hält sich an sein Versprechen. Fast ein Jahr lang beantwortet er alle Fragen zu Gerüchten innerhalb von 24 Stunden, und sei es mit der Aussage: „Das weiß ich auch nicht. Ich werde das prüfen und melde mich wieder.“

 

Das fusionierte Unternehmen konnte durch verschiedene Maßnahmen die Fluktuation stoppen, sogar umkehren und sich wieder erfolgreich am Markt positionieren. Der Manager hatte in seinem Verantwortungsbereich dazu etwas Wesentliches beigetragen:

 

·         Die Mitarbeiter, die ihn noch nicht kannten, bauten Vertrauen zu ihm auf; diejenigen, die ihn bereits kannten, wurden in ihrem Vertrauen bestärkt.

·         Sowohl die persönliche Autorität des Managers als auch die Akzeptanz der Fusion und der neuen Unternehmensstrategie wurden gestärkt.

·         Die Offenheit und Transparenz des Veränderungsprozesses sowie ihre Einbindung durch die Mitarbeiterbefragung verhalf den Mitarbeitern zu mehr Klarheit, Sicherheit und Zuversicht.

·         Der Manager machte auch klar, was er nicht wusste (auch wenn er vielleicht etwas wusste und nicht sagen durfte)

·         Die konsequente Information über den Fortschritt der Fusion und die neue Strategie verringerte die Anzahl und die „toxische Wirkung“ der Gerüchte erheblich.

·         Die Mitarbeiter verbrachten wieder mehr Zeit mit ihren eigentlichen Aufgaben als mit dem Umgang mit Gerüchten. Das Arbeitsklima verbesserte sich wesentlich, was auch die nächste Mitarbeiterbefragung nach 15 Monaten deutlich zeigte.

 

Fazit: Gerüchte sind alltäglich und erfüllen menschliche Bedürfnisse nach Sinn, Verständnis und Sicherheit oder auch nach Neugier und Abenteuer. Wenn sie allerdings das Vertrauen im Team oder zwischen der Führungskraft und ihrem Team untergraben, für schlechte Stimmung sorgen oder gar Vertrauen schädigen (toxische Wirkung auf Klima, Beziehungen und Motivation!), dann ist es Aufgabe der Führungskraft, gegen die Gerüchte vorzugehen und sie  zu ent-kräften.

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Veröffentlicht in Arbeitsmanagement.

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